Europas erste ETFs mit CO2-Kompensation starten. Gleichzeitig wächst die Kritik, dass passive Produkte nur Lippenbekenntnisse zum Umweltschutz leisten. Es muss sich zeigen, ob diese ETFs einen echten Einfluss haben oder nur weiteres Greenwashing betreiben.
Ein Bericht von InfluenceMap aus dem August mit dem Titel Climate Funds: Are They Paris Aligned? zeigt, wie weit angeblich ESG-Produkte von den Klimazielen des Pariser Abkommens entfernt sind.
Von 593 Aktienfonds der breiten ESG-Kategorie schnitten 421 bei der Pariser Klimaziele-Konformität schlecht ab. 42% investieren in Unternehmen mit fossilen Reserven. Zudem erfüllen von 130 Klima-spezifischen Fonds in Europa 55% die Pariser Klimaziele nicht positiv. Diese Produktklasse allein investierte 153 Mio. US-Dollar in die Wertschöpfungskette fossiler Brennstoffe.
Angesichts dieser ernüchternden Fakten suchen Anleger nach neuen Wegen, ihre Portfolios grüner zu gestalten, etwa durch CO2-Kompensation. Die Refinitiv-Umfrage zum Kohlenstoffmarkt 2021 bestätigt ebenfalls das Interesse von Kunden, Investoren und zukünftigen Mitarbeitern an „CO2-neutralen“ Produkten. 57% stimmen eher oder voll und ganz zu, dass die freiwillige Kompensation kein „reines Greenwashing“ ist.
Fast 80% der Befragten glauben, dass CO2-Kompensation es Unternehmen ermöglicht, Emissionen anderswo zu reduzieren. Mehr als die Hälfte stimmt jedoch zu, dass die Möglichkeit zur Kompensation den Anreiz für Unternehmen verringert, eigene Emissionen zu senken.
Gabriela Herculano, CEO von iClima Earth, erklärt: „Kompensation bedeutet, Emissionen an der Quelle zu verringern. Dies generiert ein CO2-Zertifikat. Man darf Kompensation nicht nur mit Aufforstung verwechseln. Sie ist komplexer. Kompensationsprojekte müssen real, zusätzlich, quantifizierbar, permanent, verifizierbar und durchsetzbar sein. Sie werden über ein geschlossenes Register nach Registrierung und Verifizierung ausgestellt. Jede Erstellung wird überwacht.“
Nach der Verifizierung durch Prüfer und Ausstellung durch ein Register können Zertifikate übertragen werden, bis sie „retired“ (stillgelegt) oder für regulatorische Zwecke oder zur Behauptung der CO2-Neutralität verwendet werden. Ein Zertifikat muss stillgelegt sein, um beansprucht zu werden.
Passives Investieren ohne schlechtes Gewissen?
Europas erste ETFs mit CO2-Kompensation sind der HANetf S&P Global Clean Energy Select HANzero UCITS ETF (ZERO) und der Saturna Sustainable ESG Equity HANzero UCITS ETF (SESG). Beide wurden im Juli über den White-Label-Anbieter HANetf aufgelegt.
Beide Fonds –ZERO und SESG – nutzen zwei von Verra anerkannte Programme zur Kompensation ihrer Emissionen: das Waldschutzprojekt Topaiyo in Papua-Neuguinea und das Wasserkraftwerk Musi River in Sumatra, bereitgestellt vom Kompensationsspezialisten South Pole.
Nik Bienkowski, Co-CEO von HANetf, erklärt: „Sobald wir die CO2-Zertifikate kaufen, werden sie in einem Register stillgelegt und sind nicht mehr handelbar. Der Kauf und die Nutzung sind Kosten.“
Für jedes Produkt nutzt HANetf Emissionsdaten der Indexanbieter, um die benötigte Kompensationsmenge für CO2-Neutralität zu ermitteln. Beim ZERO-ETF werden beispielsweise Daten von S&P Global zur Berechnung der CO2-Emissionen pro Million Dollar Investment und Jahr herangezogen. Vierteljährlich ermittelt HANetf die aufgelaufenen Emissionen und Anlagegelder und kauft die notwendige Menge an neuen Zertifikaten.
Der S&P Global Clean Energy Select Index verursacht laut Bienkowski etwa 50 Millionen Tonnen CO2 pro Million Dollar Investment und Jahr. Im Laufe des Jahres muss also eine Kompensationskapazität für 50 Millionen Tonnen Emissionen erworben werden.
Wie werden die Emissionsdaten der Unternehmen ermittelt? Beim ZERO-ETF ist dies Aufgabe von Trucost, der Umweltdaten-Abteilung von S&P. Unternehmen dürfen jedoch ihre Scope-1- und Scope-2-Emissionen aus dem operativen Geschäft selbst melden.
Bienkowski weist auf die Grenzen hin: „Diese Unternehmen schätzen diese Zahlen, da niemand genau sagt, wie viel Klimaanlagen oder Strom verbraucht wurden oder wie viele Flüge unternommen wurden. Für die meisten Indizes, die ETFs abbilden, liegen Daten für 80-99% der Bestandteile vor. Schätzverfahren werden besser und mehr Unternehmen berichten ihre Emissionen.“
Er betont, dass Scope-1- und Scope-2-Emissionen die Haupttypen im Tagesgeschäft sind. Scope 3 sei schwieriger zu berechnen. Für ZERO und seinen Fokus auf saubere Energie sind dies jedoch gerade die Bereiche mit den meisten Emissionen.
Hier werden Kupfer, Lithium und Nickel abgebaut, und Polysilizium oft mit Kohle hergestellt. Die Endprodukte sind Chips und Kabel für die saubere Energieerzeugung. Diese Prozesse finden meist extern statt und werden daher wahrscheinlich nicht von den Energieversorgern gemeldet.
Es ist noch kein Industriestandard, Scope-3-Emissionen bei der Datenerfassung zu berücksichtigen. In einer neuen Produktklasse, die auf genauen Emissionsdaten basiert, werden solche Überlegungen jedoch künftig zur Norm werden.
Tugendhafte ETFs oder Wegbereiter für Laster?
Es ist unwahrscheinlich, dass unproblematische Anlagen wie ein Korb sauberer Energieunternehmen im Fokus der Kontroverse stehen. Wahrscheinlicher ist, dass solche Kompensationsmechanismen in breiteren Benchmarks Einzug halten, sobald Anbieter wie HANetf eine Basis geschaffen haben.
Die Befürchtung ist, dass Anleger weniger Druck auf ETF-Anbieter ausüben könnten, sich mit den Vorständen der emissionsstärksten Unternehmen auseinanderzusetzen. Zusätzliche Gebührenpunkte könnten als fairer Preis für die Befreiung von Klimaverantwortung angesehen werden.
Camilla Ritchie von 7IM meint: „Ich möchte nicht zu negativ klingen, aber CO2-Kompensation kann von skrupellosen Emittenten als billiger Weg genutzt werden, um tatsächliche Emissionsreduktionen zu vermeiden – Ölkonzerne fallen mir da ein.“
Ein Argument für die Verbreitung von Kompensationen in ETFs ist, dass Fondsgesellschaften bereits existierende Zertifikate kaufen. Wenn mehr Produkte solche Mechanismen enthalten, könnten Anbieter wie South Pole präventiv neue Kompensationsprojekte entwickeln.
Herculano widerspricht: „Damit ein Investor den Nutzen einer Kompensation beanspruchen kann, muss er das Zertifikat stilllegen. Es dauert lange, Projekte für CO2-Kompensationen zu etablieren. Die Nachfrage aus den neuen ETFs treibt diesen Prozess nicht.“
Bezüglich der Auswirkungen auf nachhaltiges Investieren betont Herculano, dass CO2-Kompensations-ETFs die Bedeutung des Klimaschutzes hervorheben. Sie bergen jedoch das Risiko, „echte“ wirkungsvolle Investitionen zu verwässern.
Sie fügt hinzu: „Kompensationsstrategien sind kein besseres Konzept als ESG, sie sind verschieden. ESG-Produkte belohnen gute Unternehmensbürger mit starken E-, S- und G-Standards. Der beste Weg, CO2 in der Atmosphäre zu reduzieren, ist, es gar nicht erst auszustoßen. Die Antwort auf die Frage, ob man ein Portfolio von Öl- und Gasunternehmen besitzen möchte, sollte sich nicht ändern, nur weil man CO2-Kompensation hinzufügt.“
Ein Artikel von Chris Searle (iClima) und Rina Cerrato (Nuseed) hebt jedoch hervor, dass CO2-Kompensation eine Schlüsselrolle bei der Erreichung der Klimaziele 2050 spielen kann, insbesondere in Sektoren, die auf „Netto-Null“ statt „absolutes Null“ abzielen.
In Branchen wie der Luftfahrt können Kompensationen laut den Autoren dazu beitragen, Netto-Null-Ziele zu erreichen. Sie motivieren zudem schwierigere Unternehmen, sich am Kohlenstoffmarkt zu beteiligen und Zeit für ihre Dekarbonisierungspläne zu gewinnen.
Im ETF-Kontext sind solche Überlegungen wichtig. Wenn CO2-Kompensationen den Kapitalabfluss durch ESG-Produkte mit Sektorausschlüssen verlangsamen, könnten die schlimmsten Umweltverschmutzer ihre Ressourcen auf die „Begrünung“ ihrer Betriebe konzentrieren, anstatt hohe Renditen zu zahlen, um Investoren anzulocken.
Dieser Artikel erschien zuerst in ETF Insider, ETFs Magazin von ETF Stream für professionelle Investoren in Europa. Die vollständige Ausgabe finden Sie hier.






