Herkömmliche Annahmen besagen, Short- und Hebel-ETFs dienten vor allem spekulativen Wetten risikofreudiger Kleinanleger. Eine neue akademische Studie zeichnet jedoch ein anderes Bild: Diese Produkte entwickeln sich zunehmend zu Instrumenten des Risikomanagements für erfahrene Investoren.
In ihrer Arbeit „Short Selling Index ETFs und Marktentwicklung“ zeigen die Professoren Doina Chichernea, Alex Petkevich und Kainan Wang, dass hohes Leerverkaufsvolumen bei US-Breitmarkt-ETFs typischerweise auf Phasen positiver Indexrenditen folgt. Dieses Muster deutet stärker auf Absicherungsstrategien als auf spekulative Marktwetten hin.
Das Ergebnis sei „überraschend“, sagt Mitautor Kainan Wang von der University of Toledo. „In der Literatur zu Leerverkäufen gilt normalerweise: Steigt das Short Interest, sinken die künftigen Renditen. Leerverkäufer gelten oft als Investoren mit gutem Marktgespür. Wenn also US-Aktienindex-ETFs rein spekulativ leerverkauft würden, müsste auf hohes Short Interest eigentlich eine schwächere Performance folgen – doch wir beobachteten das Gegenteil.“
Die Forscher untersuchten sowohl klassische Index-ETFs als auch Hebel- und Inverse-Produkte. Der Zusammenhang war besonders stark, wenn Short-Positionen über letztere aufgebaut wurden – etwa durch den Leerverkauf eines gehebelten Long-ETFs oder den Kauf eines inversen ETFs. Ein Ergebnis, das die gängige Wahrnehmung infrage stellt.
Auch aus der Praxis kommen Hinweise auf ein Umdenken. Douglas Yones, CEO des US-Anbieters Direxion (51 Mrd. USD verwaltetes Vermögen), berichtet, dass seine Short- und Hebelprodukte zunehmend von professionellen Investoren zur Risikoabsicherung genutzt werden. Zwei Anwendungen seien besonders verbreitet:
Erstens verwenden vermögende Privatanleger – häufig über Finanzberater – inverse ETFs, um ihr US-Aktienexposure zu verringern, ohne steuerpflichtige Gewinne aus Verkäufen zu realisieren. Zweitens nutzen Market Maker die Produkte zur schnellen Absicherung ihrer Handelspositionen. „Unsere ETFs bieten eine effiziente Möglichkeit, Hebelwirkung zu erzielen und Positionen kurzfristig wieder zu schließen“, so Yones.
Zwar bewerben Emittenten Short- und Hebel-ETFs seit Langem als Werkzeuge für das Risikomanagement, doch ihr Ruf als Vehikel für kurzfristige Spekulation haftet ihnen weiter an. Ihre wachsende Popularität gilt manchen Beobachtern sogar als Warnsignal – ein Symptom überhitzter Märkte. Laut ETF Action verwalten Short- und Hebel-ETFs weltweit rund 147 Milliarden US-Dollar – fast doppelt so viel wie 2017.
Gianmarco Roncarolo, Direktor beim Anbieter GraniteShares, sieht jedoch einen strukturellen Wandel: „Diese Produkte entwickeln sich über ihre Reputation als spekulative Instrumente hinaus. Sie werden zunehmend Teil des Werkzeugkastens erfahrener Investoren, die Marktrisiken aktiv steuern wollen.“
Zwar bleibe die Nutzung durch Retail-Anleger hoch, doch ein „relevanter Anteil“ der Zuflüsse stamme inzwischen von professionellen Investoren, die Long-Positionen absichern, so Roncarolo gegenüber ETF Stream.
Die Studie selbst unterscheidet nicht zwischen Anlegergruppen. Frühere Forschung von Wang deutet allerdings darauf hin, dass über die Hälfte der Vermögen in Short- und Hebel-ETFs von institutionellen Investoren gehalten und gehandelt wird – ein Befund, der viele überraschen dürfte.
In Europa steckt der Markt dagegen noch in den Kinderschuhen. „Die Nutzung bleibt überwiegend auf Privatanleger beschränkt, Market Maker stellen zwar Liquidität bereit, nutzen die Produkte aber nicht zur Absicherung“, sagt Oktay Kavrak, Strategy Director beim europäischen Marktführer Leverage Shares.
„Auch wenn wir drei Jahre in Folge das meistgehandelte ETP an der Londoner Börse stellten, liegt die durchschnittliche Transaktionsgröße bei wenigen tausend Pfund – weit unter dem Niveau klassischer ETFs.“
Doch auch hier zeichnet sich Bewegung ab. „Mit dem Wachstum des europäischen ETF-Markts wächst das Interesse professioneller Anleger, Short- und Hebelprodukte als Instrumente des Portfoliorisikomanagements einzusetzen“, so Roncarolo. „Das sehen wir zunehmend in der Praxis.“





