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Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding: „Europäische und US-Aktien gleichgewichten“

US-Wachstum dürfte unter Trump geringer ausfallen

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Holger Schmieding, Chefvolkswirt von Berenberg, rät dazu, in einer breit aufgestellten Allokation das Europa-Gewicht im Vergleich zum MSCI World deutlich zu erhöhen. Die USA sieht er unter der Präsidentschaft Donald Trumps auf einem langfristig niedrigeren Wachstumspfad. Skeptisch zeigt sich Schmieding insbesondere für China: Das Land habe den Zenit seiner wirtschaftlichen Macht überschritten. Überhaupt seien Demokratien im Systemkonflikt den Autokratien überlegen – vorausgesetzt, die Gesellschaften seien bereit, ihre Ressourcen einzusetzen. Das sagte Holger Schmieding bei einer Veranstaltung des ETF Buyer Clubs in Frankfurt.

Zeitenwende hat erst begonnen

Im Fokus steht für Schmieding insbesondere die Auseinandersetzung der westlich geprägten Demokratien mit den autokratischen Regimen – ein Konflikt, der sich im Krieg in der Ukraine widerspiegelt. Der Ukraine-Konflikt beschäftige die Märkte derzeit kaum, so Schmieding. Dabei sei seine Lösung für die weiteren politischen Aussichten Europas von großer Bedeutung. Sollte es Donald Trump wider Erwarten gelingen, einen stabilen Waffenstillstand zu vermitteln, würden die Märkte das feiern, meint der Chefökonom.

Auf Dauer jedoch würde das wenig an der „Zeitenwende“ ändern: Ein Zurück zur Zeit vor der Ukraine-Invasion werde es mit Putin nicht geben. Schmieding betont: „Wir müssen trotzdem mehr für die Verteidigung ausgeben. Wenn jemand darauf setzt, dass Rüstungsaktien fallen und Energie für Europa wieder günstiger wird, würde ich jede Gegenwette eingehen.“

China hat den Zenit überschritten

Vier Staaten zählt Schmieding zu den „gefährlichen Schurkenstaaten“: Russland, China, Iran und Nordkorea. Diese seien zwar bedrohlich, zugleich aber wirtschaftlich auf der Verliererstraße. Allen voran China: Das Land habe den Höhepunkt seiner weltwirtschaftlichen Bedeutung wahrscheinlich bereits überschritten – wofür auch der Begriff „Peak China“ geprägt wurde.

China kämpfe mit einem weitaus größeren demografischen Problem als Deutschland; Einwanderung sei weder gewollt noch realistisch. „Es gibt schlicht nicht die 200-300 Millionen Inder, Afrikaner, Filipinos oder andere, die Schlange stehen würden für ein chinesisches Arbeitsvisum“, so Schmieding. „Für China ist die Demografie Schicksal.“

Zugleich habe sich der politische Imperativ in China in den vergangenen Jahren verschoben: „Es geht nicht mehr darum, reich und stark zu werden – es geht nur noch darum, militärisch stark zu werden“, sagt der Berenberg-Chefökonom.

Die wirtschaftliche Dynamik gehe zunehmend verloren und werde staatlich dirigierten Wachstumszielen untergeordnet. Die Folge: „China verschwendet Ressourcen in großem Umfang. Das Wachstum liegt unter dem Wert, den ein Land auf dieser Entwicklungsstufe haben müsste.“

Für Schmieding steht fest: „China wird den Sprung nicht schaffen, den früher Japan, dann Südkorea und Taiwan geschafft haben.“ Heute stehe China noch für rund 17 % des Welt-BIP; diesen Anteil werde es nicht weiter ausbauen können.

Autokratien auf der Verliererstraße

Bei den drei anderen Staaten der autokratischen Gegenwelt laufe es noch schlechter: Der weltwirtschaftliche Anteil Russlands und Irans sei in den vergangenen Jahren dramatisch von jeweils etwa 3 % auf rund 1,4 % respektive 0,4 % gesunken. Nordkorea liege ohnehin fast unterhalb der wirtschaftlichen Wahrnehmungsgrenze. „Diese vier Staaten, die uns geopolitisch Sorgen machen, stehen für grob 20 % der Weltwirtschaft. Der Westen steht dagegen für immer noch 56 %“, sagt Schmieding.

Er zieht ein Fazit: „Es kommt letztlich darauf an, ob wir in den westlichen Ländern bereit sind, unsere Ressourcen einzusetzen. Dann können wir allen Herausforderungen mit Zuversicht entgegentreten.“ In der derzeitigen Intensität werde Russland den Krieg keine zwei weiteren Jahre mehr aushalten, so Schmieding: „Die Ukraine hat Chancen.“

„Friendshoring“ gehört die Zukunft

Bei den seltenen Erden sieht er China kurzfristig am längeren Hebel. Aber: „Diese Karte kann man nicht oft ausspielen.“ Schmieding rechnet damit, dass die Suche nach Alternativen vorangetrieben wird. In drei bis vier Jahren werden die seltenen Erden seiner Meinung nach keine so große Bedeutung mehr haben: „Seltene Erden werden weniger selten, und es gibt zunehmend Alternativen“, so Schmieding.

Große Veränderungen sieht er auch im Welthandel: „Insgesamt sind wir dabei, uns mehr voneinander abzukoppeln“, sagt Schmieding. „Friendshoring“ werde vor allem bei sicherheitspolitisch relevantem Handel an Bedeutung gewinnen – auch wenn das mit einem Verlust an wirtschaftlicher Effizienz einhergehe. Früher habe das Ausblenden geopolitischer Aspekte zwar eine Zeit lang funktioniert, dann sei es Deutschland jedoch umso teurer zu stehen gekommen. Jetzt zahle man die Kosten, Geopolitik mitzudenken, sofort. Und das hält er für richtig: „Letztlich ist es besser, die Kosten vorher zu kennen, als die Rechnung für die eigene Naivität im Nachhinein präsentiert zu bekommen.“

Trotz der Herausforderungen ist Schmieding zuversichtlich für die Demokratien. Diese hätten gegenüber Autokratien zwar einen Nachteil: „Sie sind nicht so gut darin, ihre Kräfte rasch auf ein Projekt zu bündeln.“ Das gelte etwa bei der Umstellung auf Kriegswirtschaft, die in Russland quasi über Nacht verordnet wurde. Andererseits hätten Autokratien auf Dauer einen entscheidenden Nachteil: „Sie neigen dazu, Fehler zu machen.“ Das zeige sich etwa in China bei den gelenkten Investitionen oder in Russland, wo man sich beim Ukrainekrieg massiv verkalkuliert habe. „Demokratien sind – anders als Autokratien – ein Fehlerkorrekturmechanismus“, so Schmieding. Er ist überzeugt: „Auf Dauer sind Demokratien wesentlich stärker als Autokratien.“

KI-Effekt gegen Trump-Effekt

Skeptisch ist Schmieding mit Blick auf das strukturelle Wirtschaftswachstum der USA. Knapp die Hälfte des aktuellen Wachstums sei durch Künstliche Intelligenz (KI) getrieben. Allerdings würden sich die Vorteile noch nicht in der Breite der Wirtschaft niederschlagen. Das werde zwar kommen, doch bis dahin sei es ein langer Prozess. Eine Einschränkung schiebt Schmieding hinterher: „Das dauerhafte Wachstum wird nicht ausreichen, um die Schäden durch Trump auszugleichen.“

Denn das Geschäftsmodell der USA gründe auf Einwanderung. Ohne Einwanderung fehle eine entscheidende Komponente – mit weitreichenden Folgen wie „höheren Preisen, weniger Wachstum“. Schmieding erwartet, dass das inflationsfreie Wachstum in den USA deutlich auf rund 1,4 % zurückgehen wird: „Die USA bleiben eine dynamische Wirtschaft, aber der ausgeprägte Vorteil beim strukturellen Wachstum gegenüber Europa wird schrumpfen.“

Europa habe zwar Probleme, aber auch einen entscheidenden Vorteil: „Wir sind nicht in der Lage, große Sprünge zu machen – aber wir sind auch nicht in der Lage, große Fehler zu machen.“ Und weiter: „Wir sind froh, wenn wir im kommenden Jahr in der Eurozone wieder die 1,2 bis 1,3 % BIP-Wachstum dieses Jahres erreichen können und wenn Deutschland statt der 0,2 % in diesem Jahr mehr in Richtung ein Prozent kommt.“

Weltweit rechnet Schmieding damit, dass Arbeitskräfteknappheit ein großes Thema bleiben wird – mit entsprechend steigendem Lohndruck. Die Folge: „Wir werden insgesamt höhere Zentralbankzinsen brauchen, um den Lohndruck in Schach zu halten. Gewöhnen Sie sich daran, dass ein EZB-Leitzins neutral bei 3 % liegt und dass die Fed auf Dauer bei etwa 4 % neutral ist.“ Damit sieht er auch nur begrenztes Potenzial für Zinssenkungen in den USA.

Europa-Aktien höher gewichten

Schmieding erwartet einen allmählichen Verlust der wirtschaftlichen Vormachtstellung der USA. Doch dieser Prozess verlaufe sehr langsam. Auf absehbare Zeit gelte: „Die USA sind in unsicheren Zeiten immer noch der beste sichere Hafen der Welt – auch wenn ihre relative Bedeutung langsam abnimmt.“

Im Euro sieht er eine potenzielle Alternative zum Dollar, und auch der Goldpreis könne seiner Ansicht nach hoch bleiben. Die US-Verschuldung bereitet ihm keine akuten Sorgen, aber er sagt: „Die USA werden eines Tages eine Finanzkrise haben, aber das hat noch viel Zeit.“

In der Anlagestrategie sieht Schmieding derzeit relativ gute Perspektiven in Europa: „Ich würde europäische Aktien mindestens so hoch gewichten wie US-Aktien“, so Schmieding. Denn: „Bei allem, was wir haben: Wir haben wenigstens keinen Donald Trump.“

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