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Merz fordert gemeinsame europäische Börse

Neuer politischer Anlauf für Kapitalmarktunion

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Bundeskanzler Friedrich Merz forderte vergangene Woche die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Börse. Damit signalisiert er den neuerwachten politischen Willen, dieses extrem ambitionierte Ziel in Angriff zu nehmen. Die Umsetzung würde die Finanzierung der gesamten europäischen Unternehmenslandschaft revolutionieren.

Europas fragmentierte und ineffiziente Kapitalmärkte müssen effizienter werden. Dies hat bei europäischen Spitzenpolitikern höchste Dringlichkeit, denn nur so kann die EU im Wettbewerb mit den USA und China bestehen.

Viele Probleme und Hürden auf dem Weg

Skeptiker weisen darauf hin, dass alle EU-Mitgliedstaaten die Besteuerung des Aktienhandels harmonisieren müssten. Auch Wertpapier-Vorschriften, Insolvenzregeln und Offenlegungsstandards müssten vereinheitlicht werden. Nur dann kann eine gemeinsame B Realität werden. Hochpolitisch wäre auch die Frage des Standorts. Wo soll diese Börse ihren Hauptsitz haben? Und: Welches Unternehmen übernimmt den Betrieb der EU-weiten Börse?

London scheidet als Standort für diese Initiative aus. Das ist eine direkte Folge des Brexit und liefert ein weiteres bitteres Beispiel für die Folgen dieser unglücklichen Entscheidung Großbritanniens.

Stéphane Boujnah, Chef von Euronext, begrüßte Merz’ Idee bereits. Euronext betreibt Börsen in sieben EU-Ländern. Die Gesellschaft bietet zudem wesentliche Marktinfrastruktur wie Clearing, Settlement und Custody. Euronext sei “bereit, zur nächsten Stufe der Marktkonsolidierung in Europa beizutragen”, sagte Boujnah.

Euronext versucht bereits, die Marktfragmentierung zu verringern. Dieses Jahr startete das Unternehmen mit Euronext ETF Europe eine zentrale Handelsplattform für europäische ETFs. In einem weiteren Artikel am Montag berichtet Toby Lawes in ETF Stream über die wichtigsten Fragen von Marktteilnehmern zu Euronext ETF Europe.

Auch Regulierungsbehörden in Großbritannien richten den Blick nach vorn. Die Financial Conduct Authority (FCA) veröffentlichte vergangene Woche eine Konsultation zur Fonds-Tokenisierung. Die FCA erwartet dadurch niedrigere Kosten und mehr Effizienz. Dies soll die britische Investmentbranche mit ihrem Volumen von £14,3 Milliarden stärken.

Die FCA will zudem im Rahmen von Konsultationen Branchenmeinungen zu dem neuen “Direct to Fund”-Modell (D2F) für zugelassene Fonds einholen, bei dem der Cashflow direkt zwischen Anlegern und Fonds fließen würde. Dieser radikale Vorschlag würde die bisherige Funktion des Zwischenhändlers eliminieren, bei der ein autorisierter Manager Anteile des Fonds von Endanlegern kauft und verkauft.

Das D2F-Modell hätte auch Auswirkungen auf die Schaffung und Rücknahme von ETF-Anteilen (Creation and Redemption). Dies ist ein zentrales Merkmal des ETF-Ökosystems. Allerdings sind in Großbritannien keine ETFs domiziliert und es ist unklar, ob die Aufsichtsbehörden in Irland und Luxemburg ein ähnliches D2F-Modell in Betracht ziehen.

Die Central Bank of Ireland denkt intensiv über Effizienzgewinne beim ETF-Handel nach, die durch die Tokenisierung erreicht werden könnten. Dazu zählen die Reduzierung operativer Risiken und kürzere Abwicklungszeiten (Settlement).

Auch hier werden die negativen Folgen des Brexit für die britische Investmentbranche deutlich: Die FCA war einer der wichtigsten Regulierungsentwickler in Europa; nun ist sie von diesen Debatten und Gesprächen in der EU ausgeschlossen.

Die Tokenisierung ist ein Bereich, in dem die unterschiedlichen Haltungen der Regulierer in Großbritannien und der EU bereits für mehr Komplexität sorgen. Diese Unterschiede bei der Regelentwicklung stiften Verwirrung und sorgen für mehr Aufwand Experten bei Asset Managern und Juristen. Ein klarer Nutzen für den Endanleger ist dagegen kaum erkennbar.

Es besteht die klare Gefahr, dass Großbritannien den Anschluss verliert. Politiker und Regulierer in Europa treiben ihre Agenda zur Fonds-Tokenisierung voran. Gleichzeitig machen sie Fortschritte auf dem Weg zur europäischen Gemeinschaftsbörse. Kanzler Merz' Ambition bleibt zwar ein fernes Ziel. Doch die EU handelt.

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