Während Investoren nach dem Ende des COP26-Klimagipfels im schottischen Glasgow Anfang November durchatmeten, erhielten die Teilnehmer desETF Stream„Big Call: ESG Investors Forum“die Gelegenheit, über die entscheidende Rolle des Vermögensmanagements bei der Transformation hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft nachzudenken.
Das verwaltete Vermögen in ESG-Anlagen stieg Ende 2020 auf 1,7 Billionen US-Dollar. Die Veranstaltung beleuchtete die Herausforderungen, die dieses massive Wachstum für Investoren mit sich bringt. Dazu zählen der Bedarf an kohärenteren Daten und globaler Harmonisierung der Regulierung zur Bekämpfung von Greenwashing. Gleichzeitig wurden Mythen aufgedeckt, die die Herangehensweise von Investoren an nachhaltige Anlagen prägen.
Beata Bienkowska, stellvertretende Leiterin der Forschungsabteilung bei der Transition Pathway Initiative, eröffnete die Veranstaltung mit wichtigen Lektionen aus Glasgow. Sie informierte über die Ausrichtung von Unternehmen auf die 1,5-Grad-Grenze und Netto-Null-Ziele. Allerdings äußerte sie Bedenken hinsichtlich des Potenzials für Greenwashing aufgrund mangelhafter Messmechanismen.
Die komplexe Datenproblematik sprach auch Vitali Kalesnik, Leiter Research Europe bei Research Affiliates, im ersten Workshop des Tages an. Er präsentierte die Ergebnisse seiner Studie„Green Data or Greenwashing? Do Corporate Carbon Emissions Data Enable Investors to Mitigate Climate Change?“Darin analysierte er die Rolle von Datenanbietern bei der Bewertung von Unternehmen mit geringem CO2-Ausstoß.
Die Studie zeigte keine Beweise dafür, dass diese Datenanbieter zukünftige Emissionsveränderungen präzise vorhersagen können. Ihre Fähigkeit, „grüne Unternehmen in braunen Sektoren“ zu identifizieren, wurde in Frage gestellt.
„Die Logik, die der Berechnung dieser Daten zugrunde liegt, ist fehlerhaft. Investoren benötigen Datenanbieter, die sich die tatsächlichen Investitionen eines Unternehmens ansehen. Das könnten unterschiedliche Arten von Betriebsanlagen und die damit verbundenen Emissionen sein“, erklärte Kalesnik.
Die Unklarheiten bei der Definition von ESG wurden auch im anschließenden Panel diskutiert. Es ging darum, ob ESG als Faktor wie Wert (Value) oder Volatilität betrachtet werden kann.
John Leiper (Bild rechts), CIO bei Titan Asset Management, vertrat die Ansicht, ESG sei eher ein Thema. Es fehle an einer ausreichend langen Historie und einer klaren Definition, um als Faktor zu gelten.

Paris Jordan (Bild Mitte), Multi-Asset-Analystin bei Waverton Investment Management, argumentierte jedoch, dass sich dies mit der Entwicklung des Marktes ändern werde: „Es könnte ein Faktor sein, der nicht statisch ist. Ich sehe zunehmend ESG-Value-ETFs, bedingt durch die Produktverfügbarkeit.“
Hiten Savani (Bild links), Portfoliomanager für Aktien bei Fidelity International, ergänzte, dass sich ESG nicht so leicht als Faktor definieren lasse. Makler und Analysten würden Werte unterschiedlich messen: „Jeder macht es anders, und in diesem Sinne liegt der Wert im Auge des Betrachters. Ich denke, ESG muss bis zu einem gewissen Grad dasselbe sein.“
Den Lärm durchdringen
Die ewige Debatte zwischen aktivem und passivem Investieren zeigt sich im ESG-Bereich besonders deutlich. Im nächsten Panel wurde diskutiert, ob nachhaltiges Investieren überhaupt möglich ist, ohne mit den gehaltenen Unternehmen in vollem Umfang zu interagieren. Matt Brennan, Leiter Investment Management bei AJ Bell, meinte, ein passiver oder regelbasierter ESG-Ansatz biete klare Ausschlusskriterien.
Fred Kooij, CIO bei Tribe Impact Capital, betonte jedoch, dass ein ESG-Ansatz allein nicht ausreicht und nicht zu einer reinen „Checkbox-Übung“ verkommen dürfe.
Gregg Guerin, Senior Product Specialist bei First Trust Global Portfolios, sieht ESG nicht als Performance-Treiber, sondern als Risikominderer. Mit dem faktorbasierten Modell von First Trust, das sechs Regeln wie Wert, Momentum, Größe, Dividendenrendite, Qualität und geringe Volatilität umfasst, könne man „viel Lärm durchdringen“.
Um einige Mythen im ESG-Bereich zu entkräften, sagte Stuart Kirk, Leiter Responsible Investment bei HSBC Asset Management, Investoren müssten den „Unsinn“ im ESG-Bereich durchdringen. Es gelte zu verstehen, warum Kunden investieren und ob Investmentteams ESG-Faktoren wie angegeben integrieren.
„Investieren Ihre Kunden in ESG, um risikoadjustierte Renditen zu steigern? Oder investieren die Leute in ESG, weil sie der Welt helfen wollen oder weil sie Nachhaltigkeitsziele erreichen wollen? Oder eine Mischung aus beidem?
„Das mag offensichtlich klingen, aber diese beiden Dinge werden oft vermischt. Die Verwechslung führt zu vielen Problemen.“
Brendan Ashe (Bild unten), Head of ETFs bei HSBC, merkte an, dass es in dieser Situation wahrscheinlich immer Kompromisse geben werde.
In einem Panel zur Positionierung von ESG in Multi-Asset-Portfolios mittels ETFs sagte Ashe: „Wenn Sie spezifische Fragen zu Sektorkonzentration oder Volatilität haben, müssen Sie entscheiden, was wichtiger ist: Ihre erwarteten zukünftigen Renditen oder Ihre ESG-Strategie.“

Christopher Mellor, Head of EMEA ETFEquity and Commodity Product Management bei Invesco, fügte hinzu, dass dies letztlich vom Kundenwunsch abhängt: „Wenn sie kein Öl und Gas wollen, hilft es nicht, Shell zu besitzen. Aber ich glaube nicht, dass wir die angestrebte Klimaschlösung erreichen, ohne mit diesen Unternehmen zusammenzuarbeiten und sie zu Veränderungen zu bewegen.“
Ein Weg, dies zu bestimmen, so Ciara O’Leary, Partnerin bei Dechert, ist die Nutzung der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR), um zu ermitteln, was Investoren mit ihren Anlagen erreichen wollen.
„Sie müssen wissen, was Ihre Investoren in Bezug auf Artikel 6, 8 und 9 interessiert, wie erfahren sie sind, wie gut sie die Berichterstattung der Daten verstehen und wie relevant die Datenprobleme für sie sind“, sagte sie.
Die Regulierung sah sich Kritik von Sandro Pierri, CEO von BNP Paribas Asset Management, ausgesetzt. Er meinte, unterschiedliche Interpretationen der Regeln könntendas Risiko von Greenwashing erhöhenund für Investoren ein „Verwechslungsrisiko“ schaffen.
Isabelle Bourcier, Head of Quantitative and Index bei BNP Paribas Asset Management, erklärte in einem Panel zu den Auswirkungen von Klimat-ETFs, dass der Paris Aligned Benchmark (PAB) und der Climate Transition Benchmark (CTB) präzisere Ziele verfolgten als die SFDR.
Patrick Thomas, Head of ESG Investments bei Canaccord Genuity Wealth Management, fügte hinzu: „Die SFDR ist ein nützliches Werkzeug, um Kapital von alten Anlageformen in aktiv in Klimaschösungen investierte Ansätze zu verlagern.
„Sie ist nicht perfekt, aber wenn man sie als Rahmen für die Auswahl von ETFs nutzt, werden Investoren ihr Ziel erreichen.“
Raum für Innovation
Ein Bereich, den die SFDR nicht geklärt hat, ist die Möglichkeit für ESG-ETFs, an Wertpapierleiheprogrammen teilzunehmen. James McManus, CIO von Nutmeg, betonte deren wichtige Rolle im ESG-Ökosystem aufgrund ihrer Preisfindungsfunktion. Die SFDR biete jedoch keine klare Entscheidungsgrundlage, ob Investoren dies tun können.
Ein Bereich, der im ESG-Sektor in letzter Zeit Wachstum und Innovation erfahren hat, ist der Anleihenmarkt (Fixed Income). Nachdem er bei der ESG-Adaption weit hinter den Aktien zurückgeblieben war, haben Anleihen-ETFsim Jahr 2021 erheblich aufgeholt. Die Anlageklasse zog bis Ende August 13,4 Milliarden Euro an, verglichen mit 12,2 Milliarden Euro für konventionelle Strategien, so Daten von Bloomberg Intelligence.
Der Sektor steht jedoch weiterhin vor erheblichen Herausforderungen, insbesondere im Staatsanleihenbereich. Andrew Walsh, Head of ETF and Index Fund Sales bei UBS Asset Management, wies auf Schwierigkeiten bei der Bewertung einzelner Länder hin: „Weil die USA in einigen Bundesstaaten die Todesstrafe haben, sollte es dann aus dem globalen Benchmark ausgeschlossen werden?“
In einer Abstimmung des Publikums zur Frage, ob ESG und Anleihen erfolgreich integriert werden können, stimmten 60 % dafür, während 40 % dies für nicht möglich hielten.
Ein weiterer Bereich, der Produktinnovationen benötigt, ist der „Sozial“-Aspekt von ESG. Sebastian Schiele, Head of Passive Mandate Sales EMEA and APAC bei DWS, argumentierte, dass COVID-19 den sozialen Pfeiler in den Fokus der Investoren gerückt habe.
Er fügte hinzu, dass DWS mit Indexanbietern zusammenarbeite, um „maßgeschneiderte und thematische Benchmarks“ zu entwickeln, die sich auf den „S“-Pfeiler konzentrieren.


















