Nach einem turbulenten Jahr 2023 mit geopolitischen Unsicherheiten, Deflation und Problemen am Immobilienmarkt zeigen sich für China erste Lichtblicke.
Dazu zählen besser als erwartete BIP-Daten, Wachstum im Industriesektor und ein Anstieg der Konsumausgaben um 8,3% im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahr.
Das BIP stieg im ersten Quartal um 5,3% und übertraf damit die Markterwartungen von 4,8%. Treiber waren ein Wachstum von 6% im Industriesektor und ein moderateres Plus von 5% im Dienstleistungssektor.
Trotz positiver Zeichen bleiben hartnäckige makroökonomische Faktoren bestehen. Der Immobiliensektor ist schwach: Immobilieninvestitionen sanken im Quartal um 75%, Immobilienverkäufe um 63% und der Baubeginn bei Wohnimmobilien um 33% im Vergleich zu 2019.
Geopolitische Risiken bestehen fort. US-Zölle und Spannungen um Taiwan veranlassen Unternehmen wie Apple, die iPhone-Produktion nach Indien zu verlagern.
Die Q1-Daten erschweren die Entscheidung über eine China-Allokation. ETF Stream sprach mit Fondsselektoren über ihre Strategien in dieser sich wandelnden Landschaft.
Wachstumsgeschichte bleibt intakt
Xiaolin Chen, Head of International bei KraneShares, sieht die strukturelle Wachstumsgeschichte Chinas bei Kundengesprächen im April weiterhin als intakt an.
Ein Kunde, ein Top-Manager einer chinesischen Bank, befürchtete Anfang 2021, dass die chinesische Politik die Kapitalmärkte und die Wirtschaft nach der Pandemie zu wenig stützen würde.
„Drei Jahre später hat er alle Maßnahmen, Ankündigungen und Liquiditätsspritzen miterlebt“, sagt Chen. „Nun macht er sich Sorgen, dass seine eigenen Investoren zu wenig in China investiert sind, um von der Rallye zu profitieren. Das ist ein gutes Problem.“
Andrew Prosser, Head of Investments bei InvestEngine, sieht das chinesische Wirtschaftswachstum „nicht vielversprechend“. Er nennt den angeschlagenen Immobiliensektor, demografische Entwicklungen und geopolitische Spannungen als Gründe zur Vorsicht.
Dennoch sei sich der Markt der Risiken Chinas „sehr bewusst“ und habe diese eingepreist. „Die Bewertungen sind daher auf historisch niedrigen Niveaus, was auf starke Wachstumsphasen hindeuten kann“.
Niedrige Einstiegsbewertungen seien zwar kein starker Indikator für kurzfristige Renditen, korrelierten aber relativ stark mit langfristigen Erträgen, insbesondere über das nächste Jahrzehnt.
„Da China mit einem Forward P/E von gut 10 und einem P/B von 1,1 gehandelt wird, im Vergleich zu den USA mit einem P/E von 23 und einem P/B von über 4,5, könnte die Region für Value-Investoren attraktiv sein.“
Wirtschaftliche Probleme weniger relevant?
Angesichts des strukturellen Wachstums und der ermutigenden Q1-Daten müssen Anleger nun die Komplexität einer China-Allokation abwägen.
Umgekehrt könnte die anhaltende Wahrnehmung einer angeschlagenen chinesischen Wirtschaft für Investoren weniger relevant sein, als dargestellt.
Manish Singh, CIO bei Crossbridge Capital Group, betont, dass die Wirtschaft und der Markt oft getrennt betrachtet werden müssen oder zumindest keine „signifikante Verknüpfung“ besteht.
Der Aktienmarkt schwanke abhängig von Liquidität, Angebot und Nachfrage sowie neuem Kapital. „Dies ist bei Chinas Wirtschaft noch wichtiger, da der Kapitalmarkt nicht vollständig integriert und frei floatend ist wie in der westlichen Welt. Daher waren wir stets sehr vorsichtig.“
Prosser stimmt zu: „Obwohl der Ausblick für Chinas Wirtschaftswachstum nicht rosig ist, hat die Forschung zur Beziehung zwischen Wirtschaftswachstum und Aktienrenditen gezeigt, dass es keine signifikante Verbindung gibt.“
Dies zeige sich am Beispiel der Wertentwicklung des chinesischen Aktienmarktes im Vergleich zum S&P 500 in den letzten 20 Jahren. Chinas Wirtschaft wuchs stärker als die der USA, doch US-Aktien entwickelten sich deutlich besser.
Eine ausgewogene Allokationsperspektive
Auch wenn Chinas Wirtschaftswachstum nicht vielversprechend erscheint, heißt das nicht, dass Investoren das Land komplett ignorieren sollten.
„Investoren sollten China nicht untergewichten, nur weil sie Rückgänge im Wachstum erwarten. Ebenso sollten sie Indien oder andere Regionen nicht nur aufgrund schnelleren Wachstums übergewichten“, sagt er. „Der Ausgangspunkt für Investoren sollten die globalen Marktkapitalisierungsgewichte bleiben.“
Francis Chua, Fondsmanager bei Legal & General Investment Management, verknüpft die Entscheidung für oder gegen China mit dem Anlagehorizont. „China sollte Teil eines langfristigen strategischen Portfolios sein und fällt klar unter die breite globale Streuung“.
„Kurzfristig könnte man argumentieren, dass jetzt vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt ist, um auf China setzen.“
KraneShares-Expertin Chen sieht die niedrigen Bewertungen chinesischer Aktien dagegen als „attraktiven Einstiegszeitpunkt“.
Ihre Argumentation dafür ist dreiteilig. Bei „repräsentativen“ chinesischen Aktien wie Alibaba und Tencent sei jeder Mensch in China ein Kunde, was die Wirtschaft widerspiegele.
Alibaba habe in den letzten zwölf Monaten konstant starke Finanzergebnisse geliefert, während die Bewertungen auf einem Zehnjahrestief liegen.
Schließlich zeige der Glaube von Führungskräften an das Wachstum dieser Unternehmen sich in regelmäßigen Aktienrückkäufen, so Chen.
Das letzte Wort
Auch wenn die Meinungen zur China-ETF-Allokation geteilt sind, scheint ein ausgewogener Ansatz am sinnvollsten.
Prosser schlägt vor, China im Rahmen einer breiteren Schwellenländer-Allokation zu halten. Das sichere sowohl das Potenzial der niedrigen Bewertungen als auch die Beimischung von „Wirtschaftsführern“ wie Indien. „Diversifikation bleibt entscheidend, da die Volatilität in diesen Regionen voraussichtlich hoch bleiben wird.“
Singh weist darauf hin, dass Chinesen überwiegend nicht Englisch sprechen. Dies könne zu einer Diskrepanz zwischen der globalen Weltsicht und der Realität vor Ort führen.
„Das Problem der Verständigung und Misskommunikation ist nicht neu, aber es entsteht, wenn Sprachen involviert sind. China muss lernen, besser mit der westlichen Welt zu kommunizieren, wenn es will, dass wir die ganze Geschichte erfahren.“
Dieser Artikel erschien zuerst in ETF Insider, dem monatlichen Magazin von ETF Stream für professionelle Anleger in Europa. Die vollständige Ausgabe finden Siehier.





