Kurse – von Anleihen oder beliebigen anderen Assets – sollten die diskontierten Erwartungen zukünftiger Zahlungsströme widerspiegeln. Der S&P 500 notiert nahe seinem Stand zu Jahresbeginn. Die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihenbewegen sich um 90 Basispunkte pro Jahr. Die Märkte für US-Staatsanleihen gelten weltweit zunehmend als von Zentralbanken gesteuerte Absicherungsinstrumente für Aktien. Daher muss man – auch wenn der Fokus dieser Anmerkungenauf den US-Anleihemärkten liegt – mehr denn je Aktien und festverzinsliche Wertpapiere gemeinsam betrachten.Beginnen wir mit der Aktienseite: Es wäre schwer zu argumentieren, dass die undiskontierten Erwartungen zukünftiger Zahlungsströme heute höher sein sollten als zu Jahresbeginn. Wenn die Kurse ungefähr gleich geblieben sind, sagt uns die Asset-Theorie, dass die Risikoprämie komprimiert sein muss. Eine komprimierte Risikoprämie sollte auf eine geringere Risikoaversion hindeuten – ein Verhaltensmerkmal, das schwer mit
der Covid-19-Welt, in der wir leben, in Einklang zu bringen ist. Die Asset-Preisfindung hat damit Mühe, einen Sinn zu ergeben.der Covid-19-Welt, in der wir leben.
Als die Aktienkurse im März einbrachen, stiegen die Kurse von US-Staatsanleihen – wenn auch nicht ganz im Gleichklang mit dem S&P 500 oder im Umfang, den sich Aktien-Optionskäufer vielleicht gewünscht hätten. Die Aktien haben sich nun erholt, die Renditen blieben jedoch nahe ihrer Tiefststände. Das beunruhigendste Merkmal ist, dass die Renditen von US-Staatsanleihen seit der Krise von 2008 ein ratschenartiges Verhalten zu zeigen scheinen: Sie fallen bei jeder Krise, steigen aber nicht wieder an, wenn die unmittelbare Gefahr vorüber ist.
In einer gesunden Wirtschaft sollten Kupons aus Staatsanleihen durch Steuereinnahmen gedeckt sein. Diese sehen in naher bis mittlerer Zukunft nicht sehr robust aus. Hinzu kommt, dass die US-Regierung eine sehr grosse Emission von Staatsanleihen plant: Vor der Covid-19-Krise prognostizierte das Congressional Budget Office ein Haushaltsdefizit von 1,1 Billionen US-Dollar für 2020, das sind 4,9 % des BIP. Moody’s erwartet nun ein Defizit zwischen 10 % und 12 %. Die Asset-Theorie besagt, dass dies keine guten Zeiten für US-Staatsanleihen sein dürften, doch die Kurse liegen nahe einem Allzeithoch.
Wenn die traditionelle Asset-Preisfindung bei der Erklärung dieser Kursniveaus wenig hilft, worauf sollten wir uns stützen? Die aktuellen Kurse (in allen Anlageklassen) sind nur durch die unkonventionellen Massnahmen der Zentralbanken zu verstehen. In ihrem Bestreben, eine Finanzkrise zur Covid-19-bedingten Realwirtschaftskrise zu vermeiden, haben die Zentralbanken weltweit eine weitere äusserst aggressive Runde von Wertpapierkäufen gestartet. Das ist verständlich, aber Tatsache bleibt, dass die Informationen über Risiko und Rendite, die Finanzkurse vermitteln sollten, nun vollständig verzerrt sind.
Munition geht zur Neige
Quantitative Easing begann, weil die traditionellen geldpolitischen Massnahmen am kurzen Ende der Zinskurve an die Nullgrenze stiessen. Da die Renditen langlaufender Staatsanleihen in US-Dollar, Euro und Pfund Sterling nun nahe Null oder darunter liegen und sich in immer mehr Vermögenswerten kontrollierte Blasen bilden, geht den Zentralbanken die Munition aus. Wenn sie ihre akkommodierende Politik fortsetzen wollen, werden sie die Anlageklassen, in die sie eingreifen, weiter ausdehnen müssen. Die Preisverzerrungen werden grösser und verbreiteter werden. Die Kurse werden die erwarteten diskontierten Zahlungsströme immer weniger widerspiegeln.
Wie lange kann das weitergehen? Letztlich verteilen Kupons und Dividenden an die Kapitalgeber das, was die Wirtschaft nach Steuern und Lohnkosten erwirtschaftet. Wir sind mit überdehnten Aktienbewertungen und extrem niedrigen Renditen in die Covid-19-Krise gestartet. Dank der Massnahmen der Zentralbanken sind die Aktienkurse wieder dort, wo sie angefangen haben, und die Kurse von Staatsanleihen sind höher.
Die Bilanzen der Zentralbanken sind daher voller Vermögenswerte, die zu Kursen gekauft wurden, welche die zukünftigen Zahlungsströme wahrscheinlich nichtwiderspiegeln. Würden zukünftige Verluste der Zentralbanken eine Rolle spielen?
Theoretisch kann eine Zentralbank ihre (inländischen) Verbindlichkeiten immer durch Gelddrucken bedienen.durch Gelddrucken bedienen. Dies kann jedoch nur geschehen, wenn die Verbindlichkeiten der Zentralbanken eine liquide und vertrauenswürdige Abwicklungsmethode bleiben.
Wie könnte ein ETF-Kaufprogramm der Europäischen Zentralbank aussehen?
Jüngste wissenschaftliche Studien (siehe Stella, 2010 und Dalton und Dziobek, 2005) zeigen einen Zusammenhang zwischen Verlusten von Zentralbanken und Inflationsergebnissen. Und eine steigende Inflation würde natürlich dazu führen, dass die jetzt leicht bedienbare Staatsverschuldung nicht mehr so leicht bedienbar ist. Das bringt uns schliesslich zurück zu den langfristigen Risiken für nominale Staatsanleihen weltweit.
Es lässt sich nicht vorhersagen, wie lange dieser Vertrauensschwindel dauern kann – vielleicht für immer. Aber wie die „Subprime“-Krise von 2008 und die europäische Staatsschuldenkrise von 2011 gezeigt haben, kann das Vertrauen von einem Moment auf den anderen kippen: Vergessen wir nicht, dass die Renditen zehnjähriger griechischer Staatsanleihen Anfang 2007 noch etwa 50 Basispunkte über Bundesanleihen lagen.Moment auf den anderen kippen
Riccardo Rebonato ist Professor für Finanzwesen am EDHEC-Risk Institute.
Dieser Artikel erschien erstmals in der Ausgabe Q3 2020 von Beyond Beta, der weltweit einzigen Publikation zum Thema Smart Beta. Für eine vollständige Ausgabe klicken Siehier.



