Nachhaltiges und verantwortungsbewusstes Investieren hat in den letzten zehn Jahren stark zugenommen. Es wächst die Erkenntnis, dass das Finanzsystem eine Schlüsselrolle beim Übergang zu einer CO2-armen und klimaresistenten Wirtschaft spielt.
Die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in Anlageentscheidungen – gemessen an ESG-Indikatoren (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) – wird durch Anlegernachfrage, treuhänderische Pflichten, Klimawandel und neue Regulierungen vorangetrieben. Nachhaltigkeit im Finanzsektor wird zum Mainstream und verändert globale Märkte.
Dennoch fehlt es bei der Analyse von Staatsanleihen an systematischer ESG-Integration. Anleger verstehen oft nicht, wie sie ESG-Themen bei Staatschulden einbinden. Zudem mangelt es an Konsistenz bei der Definition und Messung relevanter ESG-Faktoren. Ein kohärenter Rahmen fehlt, wissenschaftliche Forschung konzentriert sich stärker auf Aktien.
In einer aktuellen Studie (Martellini und Vallée, 20211), untersuchen wir die Auswirkungen von ESG-Faktoren auf Risiko und Rendite von Staatsanleihen aus Anlegersicht. Wir analysieren, wie ESG-Risiken gemanagt werden können und welche Implikationen sich für Anlagestrategien ergeben.
Einfluss von ESG-Kriterien auf Risiko/Rendite von Staatsanleihen
Zuerst bewerten wir die Wesentlichkeit und den Einfluss einzelner ESG-Scores2 auf zentrale Risiko- und Renditekennzahlen für Asset Owner in Industrie- und Schwellenländern3.. Unser Hauptziel ist zu analysieren, ob Unterschiede im Risiko und in der Rendite von Staatsanleihen verschiedener Länder teilweise durch Unterschiede in den E-, S- oder G-Scores erklärt werden können.
Bezüglich des Einflusses von Score-Unterschieden (E, S und G) auf die Zinsspreads von Staatsanleihen zeigen unsere Ergebnisse zwei zentrale Schlussfolgerungen (siehe Tabelle 1).

Erstens stellen wir für Industrieländer fest, dass nach Kontrolle ökonomischer4 Scores und anderer Fixeffekte die E-Dimension einen signifikanten negativen Einfluss auf den Anleihe-Spread hat. Ein höherer E-Score bedeutet einen geringeren Spread bei Laufzeiten von einem, fünf und zehn Jahren. Dieser Effekt ist mittelfristig stärker ausgeprägt.
Für Emittenten können bessere E-Scores somit die Finanzierungskosten senken. Für Anleger bedeutet dies, dass sie bei Anlagen in Ländern mit besserer Umweltleistung niedrigere Renditen erwarten können. Dies deutet auf eine negative Risikoprämie für diese Reduzierung des Umweltrisikos hin.
Für Schwellenländer finden wir, nach Kontrolle ökonomischer Scores und anderer Fixeffekte, dass die S-Dimension einen signifikanten negativen Einfluss auf den Anleihe-Spread hat. Ein höherer S-Score bedeutet einen geringeren Spread bei fünf- und zehnjährigen Laufzeiten, mit stärkerer Ausprägung kurzfristig. Anleger können hier niedrigere Renditen bei Anlagen in Ländern mit besserer sozialer Leistung erwarten. Dies deutet auf eine negative Risikoprämie für diese Reduzierung des sozialen Risikos hin.
Anschließend untersuchen wir den Einfluss von E-, S- und G-Scores auf die Performance-Eigenschaften von Staatsanleiherenditen (siehe Tabelle 2).

Für Industrieländer stellen wir fest, dass nach Kontrolle ökonomischer Scores und anderer Fixeffekte sowohl die E- als auch die G-Dimension einen signifikanten negativen Einfluss auf die Anleiherenditen haben. Höhere E- und G-Scores gehen mit niedrigeren Anleiherenditen einher. Der Einfluss der G-Dimension ist langfristig stärker.
Für Schwellenländer, ebenfalls nach Kontrolle ökonomischer Scores und Fixeffekte, hat die S-Dimension einen signifikanten negativen Einfluss auf die Anleiherenditen. Ein höherer S-Score bedeutet eine niedrigere Rendite, mit stärkerer Ausprägung kurzfristig. Im zweiten Schritt analysieren wir Portfolio-Implikationen und untersuchen den Einfluss der ESG-Kriterien bei der Auswahl und Portfolio-Konstruktion. Insbesondere analysieren wir, wie Opportunitätskosten bei der Einführung von ESG-Beschränkungen gemessen und minimiert werden können im Vergleich zu einer vergleichbaren, uneingeschränkten Strategie.
Unser Hauptziel ist zu untersuchen, wie Implementierungsentscheidungen bei der Einbindung von ESG-Kriterien einen direkten Einfluss auf diese Opportunitätskosten haben. Schließlich untersuchen wir auch die Vorteile von ESG-Momentum-Strategien, die auf Zeitreihenunterschiede in ESG-Scores abzielen, im Gegensatz zu Querschnittsunterschieden.
Der erste Ansatz zur Einbindung von ESG-Kriterien ist die Einbeziehung in die Auswahlphase. Unsere Negativ-Screening-Strategie schließt die 25% am schlechtesten bewerteten Anleihen (Q1) aus. Die ausgewählten Anleihen entsprechen den 75% am besten bewerteten Anleihen (Q2, Q3 und Q4).

Unsere Positiv-Screening-Strategie wählt die 25% am besten bewerteten Anleihen (Q4) aus. Die ausgewählten Anleihen werden gleichgewichtet und die Portfolios jährlich neu ausbalanciert5. Wir erstellen separate Portfolios mit fünfjähriger Laufzeit für Industrie- und Schwellenländer (siehe Tabelle 4) und vergleichen sie mit einem gleichgewichteten Benchmark ohne Auswahl (siehe Tabelle 3).

Beim Negativ-Screening führt die Erhöhung der Nachhaltigkeit (getrennt nach E, S und G) nicht zu wesentlich geringeren Renditen. Die Volatilität steigt nur um durchschnittlich 0,5% für Industrieländer und 0,9% für Schwellenländer. Die entsprechende Verbesserung der E-, S- und G-Scores bleibt mit durchschnittlich bis zu 4,8% für Industrieländer und 8,4% für Schwellenländer begrenzt.
Bei der Positiv-Screening-Strategie für Industrieländer geht die Steigerung der Nachhaltigkeit auf Kosten der E-Dimension, während sie die Renditen für die S- und G-Dimension leicht verbessert und die Volatilität erhöht.
Für Schwellenländer bedeutet die Steigerung der Nachhaltigkeit durch Positiv-Screening einen klaren Kostenfaktor: Alle Dimensionen führen zu geringerer annualisierter Rendite und höherer Volatilität. Je höher die Score-Verbesserung, desto höher die Kosten. Für jede Dimension sind die Scores systematisch höher als bei den Benchmark-Portfolios und auch höher als bei der weniger aggressiven Negativ-Screening-Strategie, da nur die 25% besten Anleihen ausgewählt werden.
Wir untersuchen auch den Einfluss der Integration von E-, S- und G-Kriterien im Optimierungsansatz, der auf die Minimierung des Tracking Errors abzielt (siehe Tabelle 5). Ein gezielter Fokus auf die Minimierung des relativen Risikos führt zu einem geringeren Anstieg des Tracking Errors im Vergleich zu anderen Auswahl- oder Optimierungsstrategien bei gleichem angestrebtem Verbesserungsgrad der ESG-Scores.

Abschließend untersuchen wir die Vorteile von ESG-Momentum-Strategien (siehe Tabelle 6). Für Industrieländer übertrafen die 15% der Anleihen mit positiven Veränderungen bei E- und G-Scores die schlechtesten 15% im Durchschnitt von 2010 bis 2020, unabhängig von der Anleihelaufzeit.

Darüber hinaus bietet die Long-Short-ESG-Momentum-Strategie basierend auf der E-Dimension attraktive Performance-Werte, deutlich höher als die Strategie basierend auf G-Score-Veränderungen. Für Schwellenländer übertrafen die 15% der Anleihen mit positiven Veränderungen bei S-Scores die schlechtesten 15%. Bezüglich G übertrafen die 15% der Anleihen mit den höchsten Score-Unterschieden die schlechtesten 15% nur bei ein- und fünfjährigen Laufzeiten.
Diese Ergebnisse legen nahe, dass zusätzlicher Wert durch Portfolioentscheidungen generiert werden kann, die nicht nur auf Querschnittsunterschieden in ESG-Scores basieren, sondern auch auf zeitlichen Veränderungen dieser Scores. Dies deutet auf eine gewisse Unterreaktion auf Nachrichten im Zusammenhang mit ESG-Score-Änderungen hin.
Opportunitätskosten beim ESG-Investment in Staatsanleihen managen
Die Integration von ESG-Beschränkungen in Anlageentscheidungen kann Opportunitätskosten mit sich bringen. Diese können sich in einem möglichen Anstieg des Risikos und einer Reduzierung der Performance äußern (besonders relevant für Benchmark-freie Investoren) und/oder in einem erhöhten Tracking Error gegenüber der Benchmark (besonders relevant für Benchmark-orientierte Investoren).
Der Hauptbeitrag unserer Analyse ist die Demonstration, dass verschiedene Implementierungsoptionen für ESG-Beschränkungen im Staatsanleihenportfoliobau existieren und unterschiedliche Auswirkungen auf diese Opportunitätskosten haben.
Insbesondere stellen wir fest, dass höhere Umweltwerte bei Industrieländern und höhere Sozialwerte bei Schwellenländern mit geringeren Kreditkosten für Emittenten und somit niedrigeren Anlegerrenditen verbunden sind. Negativ-Screening führt zu diversifizierteren Portfolios und geringeren Tracking Errors, während Positiv-Screening höhere ESG-Verbesserungen bei erhöhten absoluten und relativen Risiken mit sich bringt.
Um diese Bedenken zu mildern, stellen wir fest, dass ein gezielter Fokus auf die Reduzierung des absoluten oder relativen Risikos in der Auswahlphase es Anlegern ermöglicht, die Opportunitätskosten entlang der für sie wichtigsten Dimension zu senken. Schließlich liefern wir Belege dafür, dass ESG-Momentum-Strategien in Staatsanleihenmärkten zur weiteren Reduzierung einiger der genannten Opportunitätskosten eingesetzt werden können.
Insgesamt deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass solide Risikomanagementpraktiken entscheidend sind, damit Anleger ESG-Beschränkungen zu akzeptablen Kosten in Bezug auf Budget oder Risiken in ihre Anlageentscheidungen integrieren können.
Lionel Martellini ist Professor für Finanzen an der EDHEC Business School und Direktor des EDHEC-Risk Institute.
Dieser Artikel erschien erstmals in der Ausgabe Q1 2021 von Beyond Beta, der weltweit einzigen Publikation zum Faktor-Investing. Um eine vollständige Kopie zu erhalten,klicken Sie hier.
1 Martellini, L. und L.-S. Vallée, 2021, Measuring and Managing ESG Risks in Sovereign Bond Portfolios and Implications for Sovereign Debt Investing, EDHEC-Risk Publication.
2 Wir verwenden die Verisk Maplecroft Datenbank für ESG-Indikatoren.
3 Unsere Stichprobe umfasst Jahresbeobachtungen für 20 Industrieländer (die USA dienen als Referenzland für risikofreie Zinssätze) und 15 Schwellenländer von 2010 bis 2020, was 200 bzw. 150 Beobachtungen ergibt.
4 Wir bevorzugen den Verisk Maplecroft Economics Index gegenüber Ratings, da Ratingagenturen möglicherweise bereits ESG-Kriterien in ihren Analysen berücksichtigen.
5 Entsprechend der jährlichen Aktualisierung der Verisk-Scores.



