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Meinung

EU-Politiker vor klarer Wahl beim Kassaband

Die Wahl für EU-Politiker ist klar: Entweder ein Kassaband, das zum Scheitern verurteilt ist und Europa ein weiteres Jahrzehnt stagnierenden Wachstums beschert, oder ein ambitioniertes Band, das zu europaweiten Investitionen beiträgt.

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EU-Politiker trafen sich letzte Woche, um einen endgültigen Rahmen für die MiFIR-Überprüfung auszuarbeiten. Eines der meistdiskutierten Themen wird sein, welche Art von Kassaband (Consolidated Tape) für Aktienmärkte implementiert werden soll.

Machen Sie keinen Fehler: Die Entscheidung, die sie treffen, wird die zukünftige Attraktivität der EU-Aktienmärkte prägen. Sie könnte den Grundstein für explosives Wachstum legen oder einen Status Quo stagnierender Volumina und Investitionen bewahren.

Nachdem nicht-gegenseitige und neu gewinnorientierte Börsen Anfang der 2000er Jahre begannen, Gebühren zu erhöhen, führte Europa 2007 mit MiFID I den Wettbewerb zwischen Handelsplätzen ein. Die Vorteile des Wettbewerbs – bei Handelsgebühren und Produktinnovationen – waren unbestreitbar.

Doch das Fehlen eines Kassabandes bedeutet, dass Daten weiterhin einzeln von jedem Handelsplatz bezogen werden müssen. Dies ermöglicht es den Handelsplätzen, die Datenkosten durch höhere explizite Gebühren und restriktivere Lizenzbedingungen schrittweise zu erhöhen.

Diese Kosten und Komplexität führen dazu, dass die Mehrheit der Marktteilnehmer den Zugang zu Echtzeitdaten rationiert. Sie übersehen ganze Länder oder Handelsplätze, sodass Investoren nicht das vollständige Bild der europäischen Liquidität sehen.

Der Zweck eines Kassabandes ist es, paneuropäische Daten unter einer einzigen, vereinfachten Lizenzstruktur bereitzustellen. Dies soll Investoren ermutigen, die EU als einen einzigen investierbaren Markt zu betrachten und somit Wachstum zu fördern. Ein richtig gestaltetes Kassaband kann Europa helfen, mit entwickelten Märkten in den USA und Asien aufzuholen, wo Liquidität und Handelsvolumina stark zugenommen haben.

Die EU erkannte das Problem und versuchte, 2018 im Rahmen von MiFID II ein Kassaband einzuführen, um eine alternative Datenquelle neben direkten Börsendaten-Feeds zu schaffen. Doch die Bemühungen scheiterten, da etablierte Börsen, die ein Kassaband als Bedrohung ihrer Kontrolle über Datenlizenzen und Preisgestaltung betrachteten, nicht verpflichtet wurden, ihre Daten beizusteuern.

Nun sollen im Rahmen der MiFID-Überprüfung Handelsplätze dazu verpflichtet werden – mit einer möglichen Opt-out-Möglichkeit für kleinere, unabhängige Börsen.

Aber welche Art von Kassaband wird es sein?

Cboe Europe – und fast alle wichtigen Datenkonsumenten – glaubt, dass ein konsolidiertes Echtzeit-Kassaband für Pre- und Post-Trade-Daten, wie vom Europäischen Parlament vorgeschlagen, die einzig glaubwürdige Option ist.

Andere in Betracht gezogene Optionen – ein Post-Trade-Tape, das nur Transaktionen enthält, oder ein Post-Trade-Tape mit verzögerten (veralteten) Kursen – haben nicht genügend Anwendungsfälle, um wirtschaftlich rentabel zu sein. Sie können daher nicht das Wachstum erschließen, das Europa dringend benötigt.

Während direkte Handelsteilnehmer natürlich weiterhin die direkten Börsen-Feeds mit der geringsten Latenz beziehen werden, wünscht sich die Investorengemeinschaft Wahlmöglichkeiten und Wettbewerb. Dieser soll zwischen den direkt zu beziehenden Feeds und einem Kassaband bestehen, das den Kauf des gesamten europäischen Marktes unter einer einzigen Lizenz ermöglicht.

Die Erfüllung dieses Investorenbedarfs und die Sicherstellung, dass Investoren das vollständige Bild der europäischen Liquidität sehen können, sind der Schlüssel zur Erschließung von Wachstum bei europäischen Aktien und ETFs.

Um die Einführung dieses Wettbewerbs bei der Datenbereitstellung zu vermeiden, haben etablierte Börsen energisch lobbyiert, um die Ambitionen und den Nutzen des Kassabandes zu begrenzen. Sie leisteten Widerstand mit Vorschlägen für ein verzögertes Tape, ein Post-Trade-Tape ohne Kurse und säten zuletzt Verwirrung mit Argumenten, ein Echtzeit-Pre-Trade-Tape sei „technisch unmöglich“, würde „Latency Arbitrage einführen“, „schlecht für Kleinanleger“ sein und sogar „Dark Trading fördern“.

Doch diese Argumente halten einer Prüfung nicht stand.

Beginnen wir mit dem Argument, dass geografische Latenz ein Tape „technisch unmöglich“ mache. Eine kürzlich veröffentlichte Analyse von Cboe Europe zeigt, dass für die überwiegende Mehrheit der Aktien in der EU ein European Best Bid and Offer (EBBO) die aktuellen Geld- und Briefkurse zu über 98 % der Zeit genau widerspiegeln würde, selbst bei einer Latenz von 50 ms (siehe Chart 1). Die vollständige Analyse und Methodik kann hier eingesehen werden.hier.

Chart 1

Cboe latency-dependent validity of EBBO

Warum ist das so wichtig?

Weil ein Pre-Trade-Tape – entgegen den Behauptungen etablierter Börsen – keine Märkte verzerrt, sondern eine zuverlässige Quelle für den aktuellen Preis darstellt. Es wäre daher für Investoren aller Art von großem Wert.

Darüber hinaus würde das Tape keine Latenzarbitrage verursachen, wie behauptet. Latenzarbitrage existiert bereits heute, aber es fehlt die Transparenz, um zu wissen, ob man davon betroffen ist. Ein konsolidiertes Pre-Trade-Tape würde hier helfen.

Das Post-Trade-EBBO-„Snapshot“-Modell – vorgeschlagen vom Europäischen Rat und unterstützt von nationalen Börsen –, bei dem ein EBBO-Kurs nur bei jedem Handel veröffentlicht wird und den jeweils unmittelbar vorangegangenen EBBO widerspiegelt, würde weniger als ein Viertel aller EBBO-Preisänderungen veröffentlichen. Es wäre nur zu 14 % ein genauer Indikator für den aktuellen Preis und würde somit ein irreführendes Bild zeichnen.

Die Wahl für die EU-Politiker ist daher klar: Entweder sie stellen sich auf die Seite der nationalen Börsen und entscheiden sich für ein Kassaband, das zum Scheitern verurteilt ist und Europa ein weiteres Jahrzehnt stagnierenden Wachstums beschert. Oder sie verfolgen ein ambitioniertes Echtzeit-Pre- und Post-Trade-Kassaband, das die Investitionen auf gesamteuropäischer Basis fördert und den Markt zum Nutzen aller Teilnehmer wachsen lässt.

Natan Tiefenbrun ist Präsident von Cboe Europe

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