Die Inflation erreicht fast ein 40-Jahres-Hoch. Nach viel zu langer Fehleinschätzung als „transitorisch“ hat die US-Notenbank (Fed) die Dringlichkeit des Problems erkannt. Sie will die Wirtschaft nun in eine Rezession steuern, um die Inflation zu kontrollieren. Es gäbe sicher schmerzfreiere Ansätze.
Inflation ist eine direkte Folge eines Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage. Übersteigt die Nachfrage das Angebot, steigen die Preise, bis sich das Gleichgewicht wiederherstellt. Der jüngste Inflationsschub resultiert hauptsächlich aus massiven Ausgaben, beispielloser Geldschöpfung, Lieferkettenproblemen – teils bedingt durch Covid-19-Lockdowns, teils durch Geopolitik –, dem Russland-Ukraine-Krieg und der Arbeit im Homeoffice. Dies gibt den Menschen mehr Geld zum Ausgeben, während sie gleichzeitig weniger Güter und Dienstleistungen produzieren.
Viele unserer aktuellen Probleme sind selbstgemacht. Sie resultieren aus einer langen Periode negativer Realzinsen. Bei robustem Wirtschaftswachstum, niedriger Arbeitslosigkeit und Börsen auf Allzeithochs ist es uns unverständlich, warum die Fed so lange quantitative Lockerung (QE) betrieb und die Zinsen nahe Null hielt. Der 40-Jahres-Vergleich wird oft genannt, doch 1981 lag der Leitzins der Fed bei 19%.
Zu spät dran
Zu spät dran zu sein – das ist das Hauptproblem. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Fed überreagiert. Das wiederum steigert die Unsicherheit und erhöht die Wahrscheinlichkeit einer harten Landung, also einer ernsten Rezession.
Die kurzfristige Inflationsprognose ist nicht gut. Bleibt die Inflation bis Jahresende 2022 monatlich bei null, erreichen wir 6,3%. Steigt sie monatlich um 0,25% (3% annualisiert), beenden wir das Jahr bei 7,6%.
Das ist in der Tat ein interessantes Szenario. Die jüngste Inflationsrate liegt bei 8,5%. Bei moderaten 0,25% Inflation pro Monat in den nächsten beiden Monaten liegt die Inflationsrate im Oktober (vor den Midterm-Wahlen) bei 8,5% – unverändert gegenüber heute.
Alle Werkzeuge gegen die Inflation nutzen
Wir befürchten, dass die Fed glaubt, Zinsanhebungen reichten aus, um die Inflation zu steuern. Traditionell sind Zinserhöhungen das Mittel der Wahl in einem Straffungsumfeld und zeigten bisher Erfolg. Doch diesmal könnte es anders sein. Tatsächlich ist jede Zeit anders. Der übliche Ansatz weckt diesmal wenig Vertrauen.
Die Zentralbank kann zwar Angebotsschocks kaum beeinflussen, aber sie kann die Nachfrage dämpfen – allerdings mit deutlicher Verzögerung. Aktuell konzentriert sich die Fed-Strategie einzig auf die Nachfrageseite. Doch es braucht mehr als Zinserhöhungen, um das Nachfrage-Angebot-Ungleichgewicht zu korrigieren, das die Inflation in die Höhe treibt.
Die Fed würde mehr Vertrauen schaffen, wenn sie beispielsweise zuerst die fünf Hauptursachen der Inflation identifiziert und darlegt, wie sie diese angehen will. Leider hat die Fed wenig Kontrolle über die meisten aktuellen Inflationsursachen. Sie könnte jedoch mit dem US-Finanzministerium zusammenarbeiten, um einige davon auf fiskalischer Ebene anzugehen.
Im zweiten Schritt sollte die Regierung eine koordinierte politische Reaktion entwickeln. Ähnlich wie bei der globalen Finanzkrise 2008. Dies würde Unsicherheit reduzieren und einen Plan zur schrittweisen Inflationsbekämpfung ermöglichen.
Einer von uns (Cam Harvey) hat als Erster gezeigt, dass eine inverse Zinsstrukturkurve Rezessionen vorhersagt. Der andere (Rob Arnott) meint, eine inverse Zinsstrukturkurve sage Rezessionen nicht voraus, sie verursache sie. Das lange Ende der Zinskurve ist primär ein Marktzins. Er wird durch die Marktwahrnehmung der fairen Kosten langfristigen Kapitals bestimmt.
Das kurze Ende wird weitgehend von der Zentralbank gesteuert. Erhöht die Zentralbank die kurzfristigen risikofreien Kapitalkosten über das Niveau des langen Endes, wählt sie einen Zinssatz, der dem Markt zu hoch erscheint.
Dies gilt nicht zwangsläufig für Volkswirtschaften (Europa oder Japan), in denen die Zentralbank auch das lange Ende der Zinskurve kontrolliert (in Fachkreisen Yield Curve Control genannt). Bestimmt der freie Markt das lange Ende der Zinskurve, sollte die Fed genau hinschauen.
Am 30. Juni 2019, als sich die Zinskurve ein volles Quartal lang invertiert hatte, gab Harvey zahlreiche Medieninterviews. Er erklärte, dieses Signal sei „Code Rot“ für eine Rezession. Alle acht vorherigen Fälle seit Oktober 1968 mit inversen Zinskurven gingen mit Rezessionen einher, ohne Fehlalarme. Einige kritisierten seine Aussagen als potenzielle Rezessionsauslöser. Nein, seine Warnung war Risikomanagement 101.
Inverse Zinskurve bis Jahresende?
Heute ist die Zinskurve – Differenz zwischen Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihe und dem dreimonatigen US-Schatzwechsel – noch nicht invers. Warum also die Sorge? Terminkontrakte prognostizieren kurzfristige Fed-Entscheidungen recht gut. Sie signalisieren eine Verdopplung des Leitzinses bis Dezember. Diese Schritte würden den kurzfristigen Zins wahrscheinlich über die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihe heben.
Ohne einen Anstieg der Renditen langlaufender Anleihen käme es zu einer inversen Zinskurve. Unsicherheit ist eine negative Kraft und eine Frage des Ausmaßes. Das Unsicherheitsniveau ist entscheidend. Zwar ist Unsicherheit immer vorhanden, aber ihr Ausmaß kann schwanken. Bei relativ hohem Unsicherheitsniveau, wie heute, sollten Unternehmenslenker Risikomanagement betreiben.
Wie sieht Risikomanagement aus? Angenommen, ein Unternehmen hat ein vielversprechendes Projekt: den Bau einer neuen Fabrik. Das Management glaubt, die Investition werde den langfristigen Wert steigern und Wachstum bei Investitionen, Beschäftigung und Wirtschaft fördern. Das Unternehmen muss die Fabrik finanzieren. Doch angesichts der aktuellen Unsicherheiten: Ist jetzt der richtige Zeitpunkt?
Das ist keine Theorie. Bei einer Inflation auf dem höchsten Stand seit 40 Jahren, massiven geopolitischen Störungen weltweit und volatiler Geld- und Fiskalpolitik ist Vorsicht die logische Taktik. Könnte eine vorsichtige Haltung zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung führen? Vielleicht, aber es ist eine Frage des Ausmaßes. Besser ist es, jetzt bei Investitionen und Neueinstellungen vorsichtig zu sein, als in einer Lage gefangen zu werden, die das Überleben des Unternehmens bedroht.
Proaktiv zu handeln ist besser, als in einem schlechten wirtschaftlichen Umfeld improvisieren zu müssen. Ein vorsichtiger Ansatz mag eine Verlangsamung beitragen, passt aber zum idealen Szenario einer sanften Landung (Soft Landing).
Es ist noch nicht zu spät für Vorbereitung.
Rob Arnott(links im Bild)ist Gründer und Chairman, Campbell Harvey (rechts im Bild) ist Head of Research bei Research Affiliates und Professor für Finanzwesen an der Duke University.
Dieser Artikel erschien zuerst in ETF Insider, dem monatlichen ETF-Magazin von ETF Stream für professionelle Anleger in Europa. Für die vollständige Ausgabe klicken Sie hier.
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