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Analysen

Lässt sich China mit ESG versöhnen?

Da die Kommunistische Partei Chinas auf die Daten von Big-Tech-Firmen zugreifen will und Unternehmen der sauberen Energie auf Materialien aus Xinjiang angewiesen sind, wird die Trennung von China-ESG-Investitionen und Menschenrechtsverletzungen zunehmend schwieriger.

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China ist in nachhaltigen Schwellenländer-Indizes bereits unterrepräsentiert. Wie lange, bis die Menschenrechtsverletzungen Chinas ein existenzielles Risiko für China-ESG-ETFs darstellen? Diese Frage rückt stärker in den Fokus. Denn die Regierung verschärft ihren Griff auf Technologiekonzerne. Gleichzeitig wird die Welt bei der Energiewende immer abhängiger von Chinas Produktion.

Bei der Bewertung von ESG-Standards gibt es oft Unklarheiten. Die Kriterien bedeuten für verschiedene Menschen an verschiedenen Orten Unterschiedliches. In den USA liegt der Fokus stärker auf sozialen Themen wie Gleichheit und Repräsentation. In Europa stehen Umweltthemen im Vordergrund.

Auf den ersten Blick scheint Chinas ESG-Potenzial dem europäischen, klimafokussierten Ansatz zu entsprechen. Zwar ist das Land durch seine Industrie und Einwohnerzahl der größte Umweltverschmutzer weltweit. Doch die Bemühungen zur Emissionsreduktion übertreffen hier die westlichen Länder in ihrem Ausmaß.

Die Luftverschmutzung kostete 2013 viele Menschenleben. Bis 2020 sanken diese Todesfälle auf das Niveau von vor 1990. Nach gemeinsamen Anstrengungen reduzierten 74 chinesische Städte von 2013 bis 2017 ihre Feinstaubbelastung um durchschnittlich 33 %.Dies belegt eine Studie. in The Lancet Planetary Health journal

Diese Verbesserungen basieren zwar auf einem niedrigen Ausgangsniveau. Früher nutzten viele Haushalte Holzfeuer zum Kochen, was stark umweltbelastend war. Doch dies ist ein aktuelles Beispiel ambitionierter chinesischer Umweltpolitik. Solche Maßnahmen geben Investoren Vertrauen. Das gilt besonders bei Versprechen wie Klimaneutralität bis 2060. Diese Zusagen geben chinesischen Wertpapieren ESG-Beständigkeit.

Im sozialen Bereich wird China weiterhin Schwierigkeiten haben. Manche argumentieren, ESG-Standards seien relativ. Doch westliche Investoren werden ihre moralischen Normen wohl kaum aufgeben, wenn sie außerhalb ihrer Heimat investieren. ESG-Verständnis sollte trotz geringerer Anforderungen als SRI-Kriterien eine moralische Basis behalten.

Wir sollten natürlich nicht zu vereinfachend argumentieren. Westliche Länder haben eigene Kontroversen. Es ist gefährlich, staatliche Politik mit Unternehmensaktionen gleichzusetzen. Die Situation in China unterscheidet sich jedoch derzeit in zwei Punkten.

Erstens sind die Gründe für die Verurteilung der Lage in Xinjiang besonders stark. Verschiedene Länder sanktionieren chinesische Beamte. Die USA und Großbritannien stuften die Situation als Völkermord ein.

Chinas Tech-Giganten: Zu mächtig für das eigene Wohl

US-Unternehmen setzten ihre grünen Initiativen fort. Amazon tätigte Solar-Akquisitionen und baute eine Elektrofahrzeugflotte auf. Dies geschah auch nach dem Rückzug der USA aus dem Pariser Abkommen unter Präsident Trump. Chinesische Unternehmen geraten jedoch zunehmend unter die Kontrolle der Kommunistischen Partei (KPCh). Dies berichtet Bloomberg.

Ein bekanntes Beispiel für öffentlich-private Zusammenarbeit bei politischer Politik war Tencents Datenteilung mit der KPCh ab 2019. Das Unternehmen musste Sicherheitskräften Daten von über einer Milliarde Nutzern seiner Plattformen WeChat und QQ zur Verfügung stellen.

Laut dem niederländischen Hacker Victor Gevers gelangten Daten über Gespräche, Zahlungen und Reiseaktivitäten von Millionen Uiguren an die chinesische Polizei. Diese wurden zur Zensur und Überwachung von Uiguren im In- und Ausland genutzt.

Ob gezwungen zur Komplizenschaft oder freiwillig: Sarah Cook von Freedom House sagte, Tencents Handlungen trugen zweifellos zur Folter und Verhaftung unschuldiger Menschen bei.

„Jeder, der sich um Menschenrechte, Wahlbeeinflussung durch ausländische Mächte oder Datenschutzverletzungen durch Tech-Giganten sorgt, sollte sich von dem Unternehmen trennen“, betonte Cook. „Nachhaltige Anlagepläne sollten Tencent ausschließen, falls noch nicht geschehen.“

Produkte, die dem strengeren MSCI EM SRI Index folgen, schließen Tencent bereits aus. ESG-Strategien wie der KraneShares MSCI China ESG Leaders UCITS ETF (KESG) und der UBS ETF MSCI China Universal UCITS ETF (CNSG) führen Tencent jedoch unter ihren Top-Holdings.

Die Gründe für solche Platzierungen in ESG-Produkten sind meist vierfach. Entweder sind sie die geringste Übel unter den Angeboten. Es ist schwierig, Einzelwerte aus einem Basisindex zu entfernen. Sie schneiden in einem bestimmten ESG-Bereich gut ab. Bedenken können durch Engagement bei einzelnen Unternehmen ausgeräumt werden.

Die ersten beiden Punkte wurden im Januar durch eine erste Prüfung der UBS durch die Schweizer Finanzmarktaufsicht FINMA teilweise untergraben. Die FINMA stellte fest, dass Hikvision, ein Tochterunternehmen eines chinesischen Militärkonglomerats, zu den Anlagen von CNSG gehört. Hikvision ist ein Hauptlieferant von Überwachungstechnik, die zur Überwachung von Uiguren in der Provinz Xinjiang eingesetzt wird.

Dies zeigt, dass es 'schlechte Äpfel' auch in ESG-Körben geben kann. Hikvision wurde zum 5. Januar aus allen MSCI-Indizes entfernt. Das zeigt, dass umstrittene Anlagen bei genügend Widerstand aus Indizes entfernt werden können.

Zum dritten Grund – gute Leistung in einem ESG-Bereich – können wir annehmen, dass Tencent in Indizes wie dem MSCI China ESG Universal 5% Issuer Capped eine wichtige Rolle spielt. Aus demselben Grund wie Unternehmen wie Alibaba: Sie sind große Technologieunternehmen mit relativ geringem CO2-Fußabdruck im Verhältnis zu ihrem operativen Umfang.

Beim vierten Grund – dem Engagement – sollten wir am besorgtesten sein. Aktionäre und Vermögensverwalter können Unternehmen normalerweise zu Handlungen bewegen. Dies zeigte sich bei Shell wegen Kontroversen in Nigeria und bei Boohoo wegen seiner Bekleidungszulieferer. Doch es besteht die Sorge, dass der staatliche Einfluss auf Chinas Tech-Giganten private Stakeholder nur noch begrenzt beeinflussen lässt.

Nach Jack Mas Vergleich chinesischer Staatsbanken mit Pfandhäusern im Oktober letzten Jahres reagierten die chinesischen Behörden auf die Kommentare des ehemaligen Alibaba-Chefs mit der Aussetzung des Börsengangs von Ant Group (IPO).

Mas Äußerungen sind oft brisant. Er kritisiert häufig die Geschäftspraktiken des chinesischen Staates. Dies verschärft die Spannung zwischen dem Wunsch des Staates, den Erfolg chinesischer Tech-Giganten zu feiern, und seinem Drang, die wachsende Macht der Unternehmen zu kontrollieren und ihre Fähigkeiten für eigene Zwecke zu nutzen.

Leider scheint die Aussetzung des Ant-Börsengangs im letzten Jahr nur der Beginn der jüngsten Offensive der KPCh gegen die Autonomie von Tech-Giganten gewesen zu sein.

Nun bietet Tencent-Gründer Pony Ma dem Staat erneut einen Friedenszweig an. Er fordert eine strengere Regulierung seines eigenen Unternehmens sowie von E-Commerce und Fahrdiensten im Allgemeinen. Unterdessen bleibt Ma im Verborgenen, während Simon Hu und Colin Huang als Leiter von Ant Group bzw. Pinduoduo zurückgetreten sind. Sie antizipieren staatliche Eingriffe.

Die genannten Technologieunternehmen decken soziale Medien, E-Commerce, Spiele, Online-Zahlungen und Medien ab. Es wird erwartet, dass der Staat als nächstes die Datenkontrolle über diese Unternehmen übernimmt. Dies könnte einer Verstaatlichung von Datenbanken gleichkommen, die die Gewohnheiten von über einer Milliarde Menschen abdecken.

Obwohl Gesetze existieren, die besagen, dass chinesische persönliche Daten Einzelpersonen gehören, ist dies nur möglich, weil die KPCh dies zulässt. Laut Robin Zhu, leitender Analyst bei AB Bernstein, belasten Unsicherheiten über die vom Staat geforderten Datentypen die Aktien von chinesischen Tech-Giganten. Vorerst scheint die anfängliche Anstrengung des Staates, Giganten wie Alibaba und Tencent zur Datenteilung zu ermutigen, von der chinesischen Zentralbank geleitet zu werden.

Ob diese Datenweitergabe stattfindet und ob sie zur Überwachung uigurischer Muslime genutzt wird, wie Tencents Daten zuvor, sind zwei fortlaufende Bedenken für Investoren in China-ESG-ETFs. Chinas Tech-Giganten könnten bald gezwungen sein, sich an unethischen Aktivitäten zu beteiligen und mit möglichen regulatorischen Vergeltungsmaßnahmen westlicher Behörden konfrontiert werden.

Hat saubere Energie ein reines Gewissen?

Ein weiterer Aspekt für ESG-orientierte Investoren ist die Abhängigkeit von Lieferketten aus Xinjiang beim Engagement im Megatrend saubere Energie. Zwar sind Clean-Energy-Themen-ETFs nicht als ESG-Produkte ausgewiesen. Doch sie schneiden im Vergleich zu traditionellen Energieanlagen oft gut bei ESG-Kriterien ab und ziehen ähnliche Investoren an.

Ein Problem bei diesen Produkten ist ihre zunehmende Abhängigkeit von Unternehmen aus der Autonomen Region Xinjiang. Laut dem American Enterprise Institute könnten sie damit Gefahr laufen, Zwangsarbeit von Uiguren zu nutzen.

Ein Beispiel für ein solches Produkt ist Europas beliebtester Themen-ETF, der iShares Global Clean Energy UCITS ETF (INRG). Sein zugrunde liegender Index enthält seit einiger Zeit Daqo New Energy. US-Senatoren nannten das Unternehmen, da es Polysilizium aus der Region Xinjiang bezieht.

Zudem fügte INRG in einem kürzlichen Index-Rebalancing zwei Unternehmen der sauberen Energie hinzu, die mehrheitlich dem chinesischen Staat gehören: China Longyuan und Goldwind. Goldwind produziert Windturbinenkomponenten in Xinjiang.

Das Problem geht jedoch weit über Unternehmen hinaus, die direkt aus Xinjiang operieren. Es betrifft viele Firmen weiter unten in der Lieferkette. Laut Xiaoting Wang, Solar-Analystin bei BloombergNEF, entfallen auf Xinjiang fast die Hälfte der weltweiten Polysiliziumproduktion. Polysilizium ist ein wichtiger Bestandteil von Solarmodulen. Die USA produzieren weniger als 5 % des weltweit benötigten Polysiliziums für Solarmodule.

Die Kosten für die Verlagerung von Xinjiangs Polysiliziumproduktion in andere Regionen wären beträchtlich. Dies würde sich auf die Renditen öffentlicher und privater Stakeholder auswirken. Naturkatastrophen und Corona-Störungen im Jahr 2020 zeigten dies bereits. Der Preis des Materials stieg im Herbst 2020 um 65 %, so IHS Markit.

Dennoch sind Solar-Entwickler sich der politischen Risiken bei der Abhängigkeit von Komponenten aus Xinjiang bewusst. Die Solar Energy Industries Association ermutigte im November Unternehmen, ihre Lieferketten zu verlagern. Bis Februar 2020 stimmten fast 200 Unternehmen zu, Zwangsarbeit durch Rückverfolgung der Rohstoffquellen auszuschließen.

Derek Scissors vom AEI hält eine erfolgreiche Einflussnahme bei diesen Themen für unmöglich. Chinesische Unternehmen könnten ihre Betriebe nur bis zu einem vom Zentralregierung genehmigten Punkt verlagern.

Scissors fügte zur ESG-Kompatibilität von Unternehmen in ihrem derzeitigen Zustand hinzu:ESG soll Faktoren über die Rendite stellen. Solar-Ausrüstung kann auch unter weitaus besseren Bedingungen hergestellt werden, wenn auch zu höheren Preisen.

„Es ist weder angemessen noch ethisch vertretbar, Investoren Repressionen in Xinjiang auszusetzen und sich gleichzeitig als ESG-konform zu bezeichnen.“

Fazit zur Komplizenschaft beim Völkermord an Uiguren und ESG

Es mag an Klarheit mangeln, was ESG bedeutet. Doch die Branche kann nicht einen Kriterienkatalog bevorzugen und einen anderen völlig vernachlässigen – hier das soziale Element. Derzeit erhalten zwei der drei für europäische Investoren verfügbaren China-ESG-ETFs die niedrigste Nachhaltigkeitsbewertung von Trackinsight. Der dritte wird als 'weitgehend mittelmäßig' eingestuft.

ESG-Indexierer und ETF-Anbieter sollten ihre Mandate enger an das SRI-Modell anpassen. Sie sollten China untergewichten, bis die Situation in Xinjiang gelöst ist. Alternativ sollten Produkte mit ethischem Fokus auf China-Engagements als reine 'Klima'- oder 'Umwelt'-Strategien gekennzeichnet werden. So werden Investoren nicht getäuscht, dass es weniger schlechte Akteure nach E-, S- und G-Kriterien gibt.

Wenn sich die diskutierten Szenarien fortsetzen, sollten sich Anleger in China-ESG-ETFs darauf vorbereiten, ihr Engagement im Uiguren-Völkermord zu verstärken. Sie könnten auch politische Risiken als Folge tragen.

UBS Asset Management, BlackRock und MSCI lehnten eine Stellungnahme ab.

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