Das ESG-Team von State Street Global Advisors (SSGA) hat fünf Trends für Anleger identifiziert. Diese sollten im kommenden Jahr beobachtet werden.
ESG-Investitionen sind in den letzten Jahren rasant gewachsen. Regulatorischer Druck und ein gesellschaftsbewussteres Anlegerklientel treiben diese Entwicklung an.
Nachhaltige Anlagen stiegen seit 2016 um 34 % auf über 30 Billionen US-Dollar, so die Global Sustainable Investment Alliance (GSIA). ESG-ETFs und -ETPs verwalten rund 50 Milliarden US-Dollar (Assets under Management, AUM). Zu Jahresbeginn waren es erst 23 Milliarden US-Dollar.
Da ESG immer mehr Mainstream wird, haben Rakhi Kumar(im Bild), Leiterin ESG Investments und Asset Stewardship, sowie Alison Weiner, ESG Investment Strategin bei SSGA, fünf Entwicklungen hervorgehoben. Anleger sollten diese im ESG-Bereich genau verfolgen.
1. Die Sustainability Accounting Standards Board (SASB) wird zum führenden globalen Rahmenwerk für ESG-Offenlegung.
Da ESG-Daten unter Beobachtung stehen,fokussieren sich Anleger zunehmend auf die Qualität der verwendeten ESG-Daten. Entscheidend ist dabei, dass ESG-Daten finanziell relevant sind, von Unternehmen konsistent berichtet werden und über Branchenvergleiche hinweg vergleichbar sind.
Bereits in den ersten zwölf Monaten seit der Einführung der SASB-Standards gab es eine signifikante Zunahme bei Investoren und Unternehmen, die SASB als Rahmenwerk zur Verbesserung der ESG-Berichterstattung sehen. Im dritten Quartal 2019 stieg die Zahl der Unternehmen, die nach SASB berichten, um 150 % gegenüber dem Vorjahr. Zwar ist die absolute Zahl der SASB-berichtenden Unternehmen mit gut über 100 relativ gering. Dennoch erwarten wir, dass SASB im Jahr 2020 zum bevorzugten Standard für investorenrelevante Nachhaltigkeits-Offenlegungen wird. Dafür gibt es drei Gründe:
Erstens konzentriert sich SASB im Gegensatz zu bestehenden Berichtsrahmenwerken auf Kennzahlen, die für Investoren finanziell relevant sind. Es schafft einen grundlegenden Standard für Erwartungen an die Offenlegung und bietet Unternehmen klare Leitlinien.
Zweitens sind die von SASB bereitgestellten Werkzeuge zugänglich und leicht verständlich. Dies erleichtert die Umsetzung.
Schließlich können die SASB-Standards eine wertvolle Rolle bei der Umsetzung von TCFD-Verpflichtungen von Investoren spielen, als Rahmenwerk für die Berichterstattung über Klimakennzahlen. Die laufende Zusammenarbeit zwischen SASB und TCFD wird die weitere Verbreitung von SASB unterstützen.
2. Die Berücksichtigung von ESG wird als treuhänderische Verantwortung betrachtet.
Um als Teil der treuhänderischen Verantwortung zu gelten, müssen ein Thema und die zugehörigen Daten für Anlageergebnisse relevant sein. Da die Wurzeln des ESG-Investierens im Socially Responsible Investing (SRI) und einem wertebasierten Rahmen liegen, debattieren Anleger oft, ob ESG zur treuhänderischen Verantwortung gehört.
Doch mit der Kodifizierung der SASB-Standards nähern sich die Anleger der Vorstellung an, dassqualitativ hochwertige ESG-Daten auf finanziell relevanten Themen basieren: zum Beispiel die Verkaufspraktiken eines Pharmaunternehmens oder die Datenschutzmanagement-Praktiken eines Softwareunternehmens. Es wächst das Bewusstsein innerhalb von Investmentorganisationen – gestützt durch akademische Erkenntnisse und wachsende ESG-Teams –, dass solche Themen die langfristige Unternehmensperformance beeinflussen.
Parallel zu diesem Bewusstsein steigt die Verfügbarkeit von SASB-konformen Daten wie R-Factor. Anleger können nun die operative Leistung von Unternehmen in Bezug auf die wichtigsten ESG-Risiken und -Chancen ihrer Branche quantifizieren und vergleichen.
Zusammengenommen bewegen sowohl das gestiegene Bewusstsein als auch der verbesserte Datenzugang die Anleger zu der Ansicht, dass die Berücksichtigung von ESG-Themen im Anlageprozess Teil der Erfüllung der treuhänderischen Pflicht ist.
3. ESG-Strategien werden komplexer.
Anleger verfolgen typischerweise ein einzelnes ESG-Ziel neben ihren finanziellen Anlagezielen. Dies kann beispielsweise die Reduzierung der Allokation in einem bestimmten Sektor oder die Erhöhung der Allokation in Unternehmen mit hohen ESG-Scores sein. Oft geschah dies bei Indexstrategien durch Ausschlusskriterien (Exclusionary Screening). Doch alsZeichen für die Reifung des ESG-Marktesbeobachten wir zunehmend die Einführung komplexerer ESG-Strategien. Anleger beginnen, mehrere ESG-Ziele in ihren Portfolios zu setzen. Beispiele hierfür sind der vollständige Ausschluss bestimmter Sektoren, die Minimierung der Allokation in unterdurchschnittlich performende Unternehmen und die Festlegung breiter Emissionsreduktionsziele für das gesamte Portfolio.
Diese Komplexität hat Auswirkungen auf Portfolioaufbau und Produktentwicklung.
Bei der Integration von ESG in Indexportfolios streben die meisten institutionellen Anleger weiterhin Marktrenditen an. Um die wachsende Komplexität zu bewältigen und diese Renditen zu erzielen, müssen Anleger sich mit differenzierteren und potenziell algorithmischeren Ansätzen für den Portfolioaufbau auseinandersetzen.
ETF-Einblick: Nehmen ETF- und Indexanbieter ESG ernst?
Die verstärkte Einbeziehung von ESG in den Aufbau von Indexportfolios wird ESG-Investitionen weiter im Mainstream verankern. Zusammen mit dem sich entwickelnden Verständnis der treuhänderischen Verantwortung bedeutet dies, dass aktive Manager, die ESG nicht in ihre Due Diligence und Anlageprozesse integrieren, erklären müssen, warum sie ESG nicht als Portfolio-Risiko oder Chance betrachten.
Auch investierbare Produkte werden auf die sich entwickelnden ESG-Ziele der Anleger reagieren. Wir erwarten, dass die Methodologien bestehender Produktpaletten aktualisiert werden, um mehrere ESG-Ziele widerzuspiegeln. Zudem werden neue investierbare Lösungen wachsen, um die vielfältigen, komplexeren Anforderungen des Marktes zu erfüllen.
4. Anleger müssen ihre Herangehensweise an Ausschlusskriterien (Exclusionary Screening) selbst gestalten.
Das älteste und gängigste Instrument des ESG-Investierens, das Exclusionary Screening, entstand vor Jahrzehnten als unkomplizierter Prozess: Ein Kunde gab seinem Vermögensverwalter eine Liste gesperrter Wertpapiere, die dann umgesetzt wurde. Da Ausschlüsse immer häufiger genutzt wurden – sowohl zur Werteausdruck als auch zur Risikominderung –,verlassen sich Kunden auf externe ESG-Datenanbieterfür die „Screens“, die sie ausschließen möchten.
Angesichts des gestiegenen Bewusstseins für Herausforderungen bei ESG-Daten hinterfragen Anleger nun die Daten und Methodologien, die ihren Ausschlusslisten zugrunde liegen. Wir sehen eine wachsende Zahl von Fragen zur Konstruktion verschiedener Screens durch unterschiedliche Anbieter sowie zur geringen Korrelation von Namen, die von verschiedenen Anbietern für dasselbe Thema gescreent werden. Wie bei breiten ESG-Ratings kann die Wahl der Methodik eines Datenanbieters und die Auswahl der Unternehmen aus deren Universum direkte und differenzierte Auswirkungen auf ein Portfolio haben.
Aufgrund dieser Unterschiede und der verstärkten Prüfung allerESG-Investmentprodukte durch Regulierungsbehörden und Aktivistenerwarten wir, dass es für Anleger im Jahr 2020 zunehmend unhaltbar wird, ihre Ausschlussmethoden vollständig auszulagern und die Beteiligung auf Distanz zu halten. Mit zunehmender Überwachung in diesem Bereich erwarten wir, dass mehr Vermögensverwalter die Verantwortung für ihre Ausschlussverfahren übernehmen werden.
5. ESG wird zu einem Kernthema im Aufsichtsrat, was zu einer besseren Infrastruktur und Offenlegung durch Unternehmen führt.
Im Jahr 2020 erwarten wir, dass ESG ganz oben auf der Tagesordnung der Aufsichtsräte stehen wird. Die Direktoren reagieren nicht nur auf ihre Anleger, sondern auch auf die breitere Debatte über die Vormachtstellung der Aktionäre (Shareholder Primacy). Dies wurde in den USA durch die aktualisierte Erklärung der Business Roundtable aus dem Jahr 2019 zum Zweck eines Unternehmens verdeutlicht. Sie besagt, dass der Zweck eines Unternehmens darin besteht, „eine Wirtschaft zu fördern, die allen dient“ und dass zu den Beteiligten Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten, Gemeinschaften und Aktionäre gehören.
Die Arbeit von SASB macht deutlich, dass diese Interessengruppen oft übereinstimmen: Wie ein Unternehmen mit seinen Mitarbeitern oder seiner umliegenden Gemeinschaft umgeht, kann langfristig direkte Auswirkungen auf die Aktionärsrenditen haben. Es wird jedoch den Aufsichtsräten obliegen, diese Zusammenhänge auf der Ebene des einzelnen Unternehmens darzulegen.
Damit Aufsichtsräte diesen breiteren Themenkomplex effektiv überwachen können, müssen Unternehmen die interne Infrastruktur aufbauen, die für ein effektives Management und eine offene Berichterstattung erforderlich ist. Wir erwarten, dass Unternehmen neue Arten von Daten sammeln, neue Berichtsmechanismen aufbauen und ihre Leistung bei diesen finanziell relevanten Themen fokussieren werden.



