Der Zeitgeist „tokenisiere alles“ hat sich durchgesetzt. Robinhoods revolutionärer Schritt, europäischen Privatanlegern 24-Stunden-Zugang zu den weltweit größten ETFs zu bieten, birgt jedoch weitaus mehr Komplexität, als es auf den ersten Blick scheint.
Der in Kalifornien ansässige Broker gab auf seiner„To Catch a Token“-Veranstaltungim Juni in Cannes bekannt, dass er200 digitale Token einführt, die es Privatanlegern ermöglichen, US-gelistete Unternehmen und ETFs wochentags rund um die Uhr zu handeln.
Die neuen digitalen Robinhood-Token bieten europäischen Anlegern erstmals direkten Zugang zum weltweit größten ETF – Vanguard's in den USA domizilierter 683 Milliarden Dollar schwerer S&P 500 ETF (VOO). In Europa bietet Vanguard bereits mehrere UCITS-konforme Versionen von VOO an, die denselben Index abbilden.
Dies liegt daran, dass Anteile an VOO sowie an anderen in den USA domizilierten ETFs nicht direkt an europäische Privatanleger vermarktet werden dürfen. Diese „40-Act“-Fonds veröffentlichen keine wichtigen Anlegerinformationsdokumente (KIIDs), die gemäß der europäischen PRIIPs-Verordnung (verpackte retailbasierte Versicherungsprodukte und Anlageprodukte) obligatorisch sind.
Robinhood umgeht diese Regeln. Regulatorische Offenlegungen zeigen, dass europäischen Anlegern keine tokenisierten ETFs im eigentlichen Sinne angeboten werden. Stattdessen verkauft Robinhood Token, die einen Anteil an einem Derivatkontrakt repräsentieren. Dieser bietet eine Partizipation an der Wertentwicklung eines zugrundeliegenden ETFs oder einer US-Aktie.
„Das Produkt erscheint auf den ersten Blick sehr einfach, aber wenn man genauer hinsieht, ist es ziemlich komplex. Es ist gutes Marketing und hat viele Leute ins Gespräch gebracht“, sagt Adrian Whelan, Leiter Market Intelligence bei Brown Brothers Harriman.
Whelan erklärt, die Token fallen unter ein „digitales Abbild“-Modell, nicht unter ein „digital native“-Modell. Das bedeutet, dass weder die Bezahlung für die zugrundeliegenden Vermögenswerte noch das Derivat, das mit diesen Vermögenswerten verknüpft ist, auf einer Blockchain liegen.
„Das Neue ist der Zugang zu diesem Derivat, der über einen Token in einer digitalen Wallet dargestellt wird. Das spricht junge Anleger an und unterscheidet Robinhoods Produkte von allem, was derzeit verfügbar ist“, fügt Whelan hinzu.
Robinhood hat zwar mit dieser Initiative für Schlagzeilen gesorgt, doch es handelt sich um einen hochkomplexen Vorgang, der in jeder Phase sorgfältig gemanagt werden muss. Robinhood muss nicht nur die digitalen Token selbst verwalten, sondern auch die zugehörigen Derivatkontrakte und die Abwicklung von Kundentransaktionen in Fiat-Währung.
All dies, um ein Vehikel zu schaffen, das Zugang zu einem S&P 500 Tracker bietet – eine Partizipation, die bereits günstig und breit über zahlreiche UCITS-konforme Fonds verfügbar ist.
Die durch die Tokenisierung eröffneten Möglichkeiten geben Anlass zu Spekulationen, ob Konkurrenten oder andere ETF-Emittenten Robinhoods Beispiel folgen könnten.
Eine Anwaltskanzlei teilteETF Stream mit, dass die Tokenisierung für einen ihrer Mandanten „im Bereich des Möglichen“ liege. Ob zukünftige Fondstokenisierungsprojekte jedoch denselben Weg wie Robinhood einschlagen werden, ist ungewiss.
Eine wichtige Hürde ist die aktuelle Diskussion unter europäischen Aufsichtsbehörden und politischen Entscheidungsträgern darüber, welche Vermögenswerte für UCITS-Fonds, einschließlich ETFs, in Frage kommen. Die jüngste Stellungnahme der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) im Juni weist darauf hin, dass nationale Aufsichtsbehörden unterschiedliche Ansätze bei „Delta-One“-Instrumenten verfolgen, die Derivate zur Indexabbildung nutzen.
Ein zweites kritisches Problem ist, wie effizient ein digitaler Token, der an einen US-gelisteten ETF gebunden ist, während der Schließungszeiten der Wall Street funktioniert, da Robinhood seine Token-Handelsfunktionen rund um die Uhr anbieten möchte.
Robinhood teilt potenziellen Kunden mit, dass keine zusätzlichen Kosten – kein zusätzlicher Spread – anfallen, wenn sie sich für den Handel mit den neuen digitalen Token entscheiden. Es bleiben jedoch wichtige Fragen zu den Handelsmodalitäten außerhalb der regulären Börsenzeiten offen, wenn Liquiditätsanbieter zusätzliche Risikoprämien in ihre Preisangebote einrechnen.
Die weitreichenden potenziellen Auswirkungen von Robinhoods Initiative auf das europäische Investment-Management-Ökosystem sollten nicht übersehen werden.
„Mein erster Gedanke war: Wenn das funktioniert, warum sollten Emittenten überhaupt eine europäische ETF-Plattform benötigen, wenn alles aus den USA bedient werden kann? Der einzige Grund, warum US-Vermögensverwalter [separate] europäische Plattformen haben, ist die Distribution in Europa“, sagt Michael O’Riordan, Gründer der Beratungsfirma Blackwater, die Vermögensverwalter bei ihrem Eintritt in den europäischen ETF-Markt berät.
Europäische Regulierungsbehörden würden laut O’Riordan die weitreichenden potenziellen Störungen für die europäische Asset-Management-Branche fürchten, wenn Robinhoods Modell breiter übernommen würde.
In diesem frühen Stadium bietet Robinhood aus Innovationssicht mehr Schein als Sein. Aber man sollte sich nichts vormachen: Es ist nur das jüngste Zeichen für Kommendes.
Anwälte in Irland warten gespannt auf ein Diskussionspapier der irischen Zentralbank (CBI) zu den potenziellen Anwendungen der Tokenisierung innerhalb von Investmentfonds. Die CBI wird sich voraussichtlich darauf konzentrieren, wie digitale Token mit der bestehenden Infrastruktur der Asset-Management-Branche interagieren, und nicht nur mit den über Online-Brokerage angebotenen Hüllen.
Die Idee, die Infrastruktur europäischer ETFs vollständig auf eine Blockchain zu verlagern, damit Anleger direkt aus digitalen Wallets zeichnen und zurückgeben können, stellt ein „wesentlich spannenderes Konzept“ dar als Robinhoods Fensterdekoration von ETFs als Token, so Whelan.
Robinhood hat sich auf Anfrage vonETF Streamnicht zu einer Stellungnahme geäußert.





