Künstliche Intelligenz (KI) und Tokenisierung stehen vor dem Durchbruch als Motoren einer neuen Innovationswelle für die ETF-Branche. Beide Technologien könnten das Handelsökosystem tiefgreifend verändern – davon ist die wichtigste europäische Fondsaufsicht überzeugt.
Gavin Curran, Leiter der Fondsaufsicht bei der irischen Zentralbank (Central Bank of Ireland, CBI), erklärte, die Liquidität von ETFs könne durch die Tokenisierung „transformiert“ werden. Die Umwandlung von Fondsanteilen in digitale Token auf einer Distributed-Ledger-Infrastruktur könnte Abwicklungszeiten verkürzen, Corporate Actions automatisieren und nahezu Echtzeit-Transparenz bei Transaktionen ermöglichen.
„Diskussionen, insbesondere in Europa, darüber, wie die Liquidität von ETFs an verschiedenen Handelsplätzen zu bewerten ist, würden sich dadurch grundlegend verändern – mit weitreichenden Folgen“, sagte Curran auf dem Forum von ETF Stream in Dublin.
Er zeichnete das Bild eines ETFs, der native digitale Anteile emittiert, die auf einer genehmigten Blockchain aufgezeichnet werden. Jeder Emissionskorb könnte programmatisch erzeugt und vernichtet werden – was operative Risiken und Abstimmungsfehler erheblich verringern würde. Auch die Verwahrung könnte sich von Sammelkonten hin zu tokenbasierten, individuellen Wallets verlagern. Das würde Bruchteilseigentum erleichtern und so die finanzielle Inklusion fördern.
Im Bereich der Emission und Rücknahme könnte die Tokenisierung zudem fraktionierte Einheiten ermöglichen. Das würde die Kosten für autorisierte Teilnehmer (Authorised Participants, APs) senken und den Kreis der Akteure erweitern, die Preisunterschiede ausgleichen können.
Curran warnte jedoch, Tokenisierung sei kein Allheilmittel. Ihre Einführung erfordere eine Reihe technischer und operationeller Kontrollen – von der Absicherung des Softwareentwicklungszyklus über Penetrationstests bis hin zur Planung für Blockchain-Gabelungen, also Abspaltungen bestehender Netzwerke.
Die Umstellung könnte auch das Verständnis von ETF-Liquidität auf den Kopf stellen. APs müssten sich auf neue Kapital- und Infrastrukturanforderungen einstellen, um Echtzeit-Abwicklungen mit Intraday-Liquidität zu finanzieren. „
Das Potenzial unbeabsichtigter Finanzierungsengpässe muss adressiert werden“, sagte Curran. Zentralverwahrer müssten zudem entscheiden, wie sie sich in verteilte Netzwerke integrieren wollen.
Er verwies auf die technischen Regulierungsstandards (Regulatory Technical Standards, RTS) der europäischen Wertpapieraufsicht ESMA zum CSDR-Abwicklungsdisziplinregime. Diese deuten auf eine Zukunft hin, in der Strafen für Abwicklungsfehler automatisch berechnet und durchgesetzt werden.
„Das ist der natürliche Zwilling der Tokenisierung: eine selbstausführende, selbstüberwachende Abwicklungs-Engine. Wenn die Abwicklung automatisiert ist, schrumpft der Raum für menschliche Fehler – doch die Folgen von Softwarefehlern nehmen zu.“
Auch der ETF-Handel selbst werde sich mit zunehmender KI-Integration weiterentwickeln. KI-basierte Smart Order Router könnten gleichzeitig mehrere Handelsplätze – von klassischen Börsen bis zu dezentralen Plattformen – scannen und die kosteneffizienteste Ausführung identifizieren. Das hätte, so Curran, „einen signifikanten, positiven Einfluss auf Investoren – selbst in Marktstressphasen“.
Machine-Learning-Modelle sind in der Branche bereits etabliert. Sie helfen, Indexverfolgung zu optimieren, Corporate Actions vorherzusagen und Sampling-Strategien zu verfeinern. Transferstellen nutzen Chatbots mit Natural-Language-Processing-Technologie zur Beantwortung von Anlegerfragen, während Compliance-Teams Algorithmen zur Anomalieerkennung einsetzen, um mögliche Probleme in Echtzeit zu identifizieren.
Diese Technologien erhöhen die Effizienz, bergen aber auch Risiken: algorithmische Verzerrungen, Modell-Drift oder Datenschutzprobleme. Curran betonte daher die Bedeutung einer robusten KI-Governance – von der DSGVO-Konformität über die Integration der UCITS-Grundsätze bis hin zu ethischen Standards und Notfallverfahren.
Technische Grundlagen, einfache Nutzung
Nach der Aufzählung der notwendigen Schutzmaßnahmen erinnerte Curran daran, dass die Komplexität dieser Technologien für Endanleger unsichtbar bleiben müsse.
„Denken Sie an Ihr Smartphone – ein technisches Wunderwerk, das sich als einfaches Symbolraster präsentiert. Tokens, KI und fortschrittliches Liquiditätsmanagement sollten für den Anleger unsichtbar sein – spürbar nur durch geringere Kosten, engere Spreads und bessere Transparenz.“ Aufgabe der Unternehmensvorstände sei es sicherzustellen, „dass diese unsichtbare Komplexität niemals zu unsichtbarem Risiko wird“.
Bemerkenswert sei, so Curran weiter, dass vor allem bereits etablierte Akteure in der Lage seien, diese Technologien zu skalieren. Regulierungsbehörden und Aufsichtsgremien müssten deshalb wachsam bleiben, um eine zu starke technologische Machtkonzentration und daraus resultierende systemische Risiken zu vermeiden.
Currans Rede folgte einer Reihe von Stellungnahmen der irischen Zentralbank zu Tokenisierung und KI im Sommer. Während andere Aufsichtsbehörden – etwa jene der Britischen Jungferninseln – um eine Führungsrolle im Token-Sektor ringen, signalisiert die CBI mit ihrer Position, dass sie mit der Innovationsgeschwindigkeit der Vermögensverwalter in Dublin Schritt halten will.



